Berlin - Im Bundestag zeichnet sich eine knappe Mehrheit für den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses in seiner Barockfassade ab. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse zeigt sich «sehr optimistisch», dass bei der heutigen namentlichen Abstimmung, bei der der Fraktionszwang aufgehoben wird, eine Mehrheit zu Stande kommt. Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin erwartet eine «relative, aber stabile Mehrheit». Die Abgeordneten müssen sich zwischen zwei Varianten, der Barockfassade oder einem Architekturwettbewerb mit Alternativen, entscheiden.
Thierses Zuversicht gründet sich auf einen Meinungstest in der SPD-Bundestagsfraktion, nach dem ein gutes Drittel der 293 Abgeordneten für das Barockschloss votieren will. «Mit den Stimmen von Union und FDP wird das reichen», prognostiziert der Bundestagspräsident. Fraktionsgeschäftsführer Wilhelm Schmidt erwartet dagegen ein «sehr knappes Ergebnis». Thierse, der sich am Dienstag in der Fraktion vehement für das Schloss eingesetzt hatte, will deshalb heute im Plenum des Bundestags nochmals ein Plädoyer dafür halten. Auch Bundeskanzler Gerhard Schröder gilt als erklärter Schlossfan. «Der Bundeskanzler hat schon einmal seine Vorliebe für die Wiederherstellung der Fassade erkennen lassen», sagte eine Regierungssprecherin. Auch wenn viele Sozialdemokraten dem Kanzler ihre Gefolgschaft nicht verweigern wollen, ist die Schlossreplik in der Fraktion doch äußerst umstritten. Eine Reihe von SPD-Abgeordneten, darunter Konrad Gilges aus Köln, sprach sich dafür aus, die Entscheidung über das Schloss zu verschieben. Gilges bezeichnete die Debatte darüber als «nicht zeitgemäß». Ein Votum für ein 700 Millionen Euro teures Luxusprojekt nehme der SPD angesichts der Arbeitslosigkeit niemand ab.
Ein recht geschlossenes Bild geben demgegenüber die Fraktionen von Union und FDP ab. Der überwiegende Teil der 245 Abgeordneten von CDU und CSU will für das Schloss votieren. Bei den Liberalen sind es nahezu alle der 43 Abgeordneten. «Auch wenn es bei uns eine deutliche Mehrheit gibt, wird die Mehrheit im Bundestag knapp», sagt Schlossbefürworter Günter Rexrodt. Gegen das Schlossprojekt leisten nur die Grünen (47 Abgeordnete) «mehrheitlich» und PDS (37) «einhellig» Widerstand. Unterstützt werden sie vom Präsidenten der Bundesarchitektenkammer Peter Conradi. Er warnt vor einer «rückwärtsgewandten» Entscheidung. Der Bundestag sollte sich an den Erfolg der modernen Reichstagskuppel erinnern.