Überraschungen sind in der Politik immer dann besonders gelungen, wenn sie über die Schlagzeile des nächsten Tages hinaus nachwirken - am besten auf den politischen Gegner. In diesem Sinne ist Katherina Reiche eine überaus gelungene Überraschung. Oder vielmehr ihre «uneingeschränkte» Zuständigkeit für Frauen-, Jugend- und Familienpolitik in Stoibers Kompetenzteam. Nach der Debatte der letzten Tage hatte damit niemand mehr gerechnet. Doch Stoiber reagierte - wieder einmal - anders als viele erwartet hatten. Nicht der Kritik von Kirchen, Konservativen und Frustrierten gab er nach, sondern dem politischen Kalkül.
Dass eine 28-jährige Frau, unverheiratet, Mutter eines Kindes, schwanger mit dem zweiten und dazu noch evangelisch und aus dem Osten im Wahlkampf nun die familienpolitischen Vorstellungen der Union vertritt, mag so manchem in und außerhalb von CDU und CSU nicht gefallen. Dafür ist Frau Reiches Lebenswirklichkeit einfach zu weit weg vom (klein-) bürgerlichen Idealbild. Viel wichtiger für Stoiber ist jedoch, dass es ihm gelungen ist, eine Kampagne im Keim zu ersticken, die überaus gefährlich zu werden drohte.
Mit der unverheirateten Mutter Reiche als möglicher Familienministerin wird es der SPD nun nicht mehr gelingen, die Union als Heimat ewig gestriger Herrschaften zu attackieren, die lieber ihr Heimchen am Herd als ihre Frauen auf der Karriereleiter sehen. Doch damit nicht genug: Stoiber hat mit seiner Entscheidung nicht nur die Angriffe der politischen Gegner ins Leere laufen lassen. Er hat auch all den Dränglern in den eigenen Reihen eine Absage erteilt, die ihn immer wieder mal zu «klarerem Profil» - also zu konservativeren Positionen - raten.
Stoiber, das zeigt sein uneingeschränktes Festhalten an Reiche - ist weit mehr in der gesellschaftlichen Wirklichkeit dieses Landes angekommen, als es manchen recht sein mag. So was passiert halt, wenn der Kandidat erwachsene Töchter hat, die auch als Mütter nicht auf Karriere verzichten wollen.
Und dennoch: Bei der Nominierung Reiches bleibt ein fader Beigeschmack. Nicht weil die Brandenburgerin schon den zweiten Geburts-, aber noch keinen Hochzeitstermin hat. Nein, Reiche ist deshalb eine fragwürdige Wahl, weil sie schlicht keine Familienpolitikerin ist. Im Bundestag hat sie sich als Forschungs-Expertin profiliert. Dass sie nun, wie Stoiber sagt, «mitten in der Familienphase ist», macht sie noch lange nicht so kompetent, wie es der Name des Stoiber-Teams erwarten lässt.
Die Berufung von Katherina Reiche ist ein neuer Beleg einer zumindest problematischen politischen Personalauswahl. Nicht was jemand kann, ist entscheidend, sondern welche Wirkung jemand erzielt. Dass Katherina Reiche gut aussieht, ist dann wahrlich keine Überraschung mehr.