Kippt die Stimmung?

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Ansgar Graw und Daniel Friedrich Sturm

Berlin - Der Favorit gegen den Außenseiter? Nicht nur im Fußball verändern sich Kategorien rasch. Neue Umfrageergebnisse signalisieren, dass die Partei des Kanzlers in der Wählergunst aufholt, während der Kandidat der Union noch weit entfernt ist von einem Sieg bei der Bundestagswahl. Nahezu Kopf an Kopf steuern Gerhard Schröder und Edmund Stoiber auf das Finale am 22. September zu. Und die FDP, der potenzielle Partner der Union für einen Machtwechsel, schwächelt.

Drei Monate vor der Bundestagswahl liegen die Sozialdemokraten Ende Juni bei 38 Prozent - und damit fünf Prozentpunkte über dem Wert von vor zwei Wochen. Das vermeldet das ZDF-«Politbarometer». CDU und CSU erreichen unverändert 40 Prozent, die FDP aber verschlechtert sich von zwölf auf acht Prozent. Die Grünen bleiben bei ebenfalls acht Prozent. Trost für die Union: Die PDS, von der viele in CDU und CSU glauben, im Falle eines Falles würde sie zumindest in Form einer Duldung die Fortsetzung von Rot-Grün ermöglichen, muss um den Wiedereinzug in den Bundestag bangen. Um einen Prozentpunkt ist sie auf vier Prozent abgesackt. Dennoch: Union und FDP hätten nach diesen Ergebnissen, anders als noch vor 14 Tagen, keine eigenständige Mehrheit.

Darum ist die Stimmung im Stoiber-Lager angeschlagen. Zu früh gefreut? CDU-Chefin Angela Merkel warnt schon seit Tagen in vertraulichen Runden vor verfrühter Euphorie. Die Demoskopie hat sie dabei ins Bild der Topographie gepackt: Man wandere durch eine Hügellandschaft, so ihr Vergleich, die Union sei gerade auf einem Berg, die SPD im Tal.

Von Anfang an sei man davon ausgegangen, dass der Vorsprung gegenüber der SPD kleiner würde, beruhigt ein CDU-Abgeordneter. Dennoch, die Nervosität wächst: Warum, fragt ein Mitglied des Bundesvorstandes, haben sich nicht zumindest Kanzlerkandidat Edmund Stoiber und sein Wirtschaftsjoker Lothar Späth mit einer einheitlichen Positionen zu den Vorschlägen der Hartz-Kommission geäußert? Tatsächlich nahm die Öffentlichkeit vor allem wahr, dass der CSU-Vorsitzende die vorgeschlagene Pauschalisierung des Arbeitslosengeldes harsch kritisierte, während der einstige CDU-Ministerpräsident den Ideen der Kommission zur Arbeitsmarktreform offenen Applaus spendete.

Meinungsforscher sprechen bereits seit Wochen von einer «Trendumkehr». «Da liegt etwas in der Luft», beschreibt ein prominenter Beobachter die Stimmung. Eine angebliche Annäherungen Stoibers an Schröder bei den persönlichen Umfragewerten wird von einem anderen Experten vollständig in Zweifel gezogen: «Da wird etwas schöngerechnet.» Auch aus der Münchner CSU-Zentrale ist zu hören, dass eigene Umfragen zu weniger Euphorie Anlass gaben als jüngste Erfolgsmeldungen.

Vor allem im Osten scheint die SPD die Union deutlich zu überflügeln. Der Späth-Effekt zieht dort nicht so wie erhofft. Auch sei die Mobilisierung der Parteibasis nicht befriedigend gelungen, wird in der Parteispitze konstatiert. Mit Pisa habe die Union in der Öffentlichkeit nur sehr bedingt punkten können. Der Schachzug der SPD, die eigentlich erst für Mitte August angekündigten Ergebnisse der Hartz-Kommission vorzuziehen und via «Spiegel» in die Öffentlichkeit zu bringen, hat die Aufmerksamkeit für die Bildungsstudie reduziert.

Auch die Vorstellung der Mitglieder von Stoibers Kompetenzteam im fast wöchentlichen Rhythmus gerät längst nicht mehr zum schlagzeilenträchtigen Spektakel. Nächste Woche wird die Brandenburgerin Katherina Reiche präsentiert - dabei gab es hinter den Kulissen Ärger mit der katholischen Kirche, die der CSU abgeraten hat, die 28-jährige ledige Mutter zum Aushängeschild zu machen.

Aufatmen hingegen bei der SPD. «Jetzt sind wir auf Tuchfühlung heran», kommentierte gestern SPD-Generalsekretär Franz Müntefering die neuesten Zahlen. «Es wird sehr knapp, das ist klar.»

Politbarometer

Im Internet abrufbar unter www.zdf.de/politik/Politbarometer/62 823/index.html