Bangkok - Am 10. Juni beginnt in Kabul Afghanistans wahrer Friedensprozess: Bei der großen Loja Dschirga, der Stammesversammlung, werden über 1500 Dorfvertreter, handverlesene Gelehrte, Frauen, Flüchtlinge und die derzeitigen Minister Afghanistans neue Regierung für die nächsten eineinhalb Jahre bestellen.
Die Ermordung von acht Delegierten und die Verschleppung weiterer Gesandter im Vorfeld des einwöchigen Großrates scheint den Afghanen noch als Ansporn zu dienen, um die dunklen Jahre unter der Taliban jetzt erst recht abzulegen - mittels einer gründlichen Loja Dschirga. Es gilt bereits als Erfolg, wenn sie ohne Tumulte beendet werden kann.
Die Vorzeichen stehen gut. Die Waffen schweigen in den meisten Gebieten des Landes, Taliban und Al-Qaida sind größtenteils vertrieben oder aufgelöst, und Afghanen legen einen erstaunlichen Enthusiasmus an den Tag, was die Wahl der Delegierten betrifft. Sie scheinen die jahrhundertealte Tradition der Loja Dschirga noch bestens zu beherrschen.
Der nach außen chaotisch anmutende Prozess folgt klaren Regeln des Verdienstprinzips und der Mitsprache. In Dorfräten quer durch Afghanistan wurden die Gesandten für den großen Stammesrat auserkoren. Mindestens zehn Prozent werden Frauen sein, die unter den Taliban kaum als Menschen galten. Analphabet zu sein ist minderrangig. Es gilt, nicht mit Schmugglern und Banditen im Bunde zu stehen und für das Gemeinwohl einzutreten.
Der Großrat wird die im Dezember bei der Bonner UN-Konferenz gebildete Übergangsregierung ablösen sowie Wahlen und eine Verfassung vorbereiten. Klar zu sein scheint, dass Übergangspremier Hamid Karsai ein weiteres Mandat erhält. Dass sich der Paschtune gegen die mächtigen ethnischen Tadschiken behaupten kann, die das Verteidigungs-, Innen- und Außenministerium beherrschen, spiegelt das Vertrauen der Afghanen in die Strenge von Karsai, die dieser insbesondere dem Einfluss der USA verdankt, die seiner Regierung mit Geld und Waffen unterstützen.
Ebenfalls klar zu sein scheint, dass Altkönig Zahir Schah zum formalen Staatsoberhaupt ohne konkrete Macht aufsteigen dürfte. «Ich werde diese Verantwortung übernehmen, sollte dies die Loja Dschirga wünschen», so der Altkönig, der keine Absichten auf eine Rückkehr zum Monarchen bekundet.
Berichte, dass Taliban und Al-Qaida Attentate gegen die Loja Dschirga planen, werden weder von Kabul noch von der Uno, auch nicht vom US-Oberkommando verneint. «Sie suchen nach einer Chance, um möglichst viele Augen auf sich zu richten», sagte Generalmajor Franklin L. Hagenbeck, der US-Oberkommandierende in Afghanistan.