BM Berlin - Die Zuhörer trauten ihren Ohren nicht: «Ich glaube nicht, dass es für Rot-Grün reicht», bekannte ausgerechnet der neue DGB-Vorsitzende Michael Sommer freimütig in einer Ansprache vor unionsnahen Gewerkschaftern am späteren Mittwochabend beim Bundeskongress des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Berlin. Und legte nach: Er setze auf eine große Koalition von SPD und Union. Diese biete «vielleicht die große Chance, das machen zu müssen, was uns nach vorne bringt, ohne dass gebremst wird».
Die Zitate sorgten gestern nicht nur bei den 400 Delegierten für entsetzte Gesichter und entgeistertes Kopfschütteln. Von einer «bodenlosen politischen Dummheit» war die Rede. Zwar dementierte der DGB. Doch nicht nur «spiegel online» und die «Financial Times Deutschland» berichteten wortgleich über die Aussagen, auch anwesende Gewerkschafter bestätigten inoffiziell das Gesagte. Die Union, verblüfft über die unerhoffte Hilfe, war hocherfreut. SPD und Grüne straften den Fauxpas mit beredtem Schweigen.
Unions-Kanzlerkandidat Edmund Stoiber (CSU) fordert gestern bei seinem Auftritt auf dem DGB-Kongress von den Gewerkschaften eine Überprüfung ihrer Klischees. Es gehe an der Realität vorbei, wenn man ihn als Befürworter des Abbaus sozialer Leistungen darstelle, sagte Stoiber. Dies sei eine «künstliche Polarisierung». Wer nur die Klischees über ihn kenne, werde Überraschungen erleben, ergänzte Stoiber. Es gebe gegenüber den Gewerkschaften zwar Meinungsverschiedenheiten, aber auch viele Gemeinsamkeiten.
Stoiber nannte die Schaffung von Arbeitsplätzen als die zentrale Aufgabe in Deutschland. Er stehe für mehr wirtschaftliche Leistungskraft und mehr Arbeitsplätze, betonte der Unions-Kanzlerkandidat. Dazu gehöre es, Verkrustungen aufzubrechen und neue Leistungskraft freizusetzen. Stoiber kündigte an, dass bayerische Modell des Bündnisses für Arbeit im Fall eines Wahlsieges der Union auf den Bund übertragen zu wollen.
Rot-Grün fördere bei der Rentenform Großverdiener mehr als Geringverdiener, betonte Stoiber. Zudem habe die Regierung für Verbraucher Steuern erhöht und die Unternehmenssteuern so gesenkt, dass die Firmen Körperschaftsteuer zurückerhalten. «Hier ist handwerklich ein schwerer Fehler passiert von der Regierung Schröder», betonte Stoiber. Ebenso verurteilte er die Steuerfreiheit auf Veräußerungsgewinne. Die Arbeitnehmer und der Mittelstand seien bei dieser Steuerreform gegenüber den Aktiengesellschaften «auf der Strecke geblieben». Im Gesundheitswesen wolle die Union an der paritätischen Finanzierung der Kassenbeiträge durch Arbeitnehmer und Arbeitgeber festhalten und auch kein System von «Grund- und Wahlleistungen» einführen.
Vor Stoiber trat die PDS-Chefin Gabi Zimmer auf dem DGB-Kongress auf. Zimmer forderte die Gewerkschaften eindrücklich zur Zusammenarbeit auf. Sie betonte die Gemeinsamkeiten ihrer Partei mit den Forderungen des DGB und sagte, nur mit einer starken Linken sei in Deutschland ein Politikwechsel hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit möglich. Zimmer kritisierte die Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung und forderte mehr öffentliche Investitionen.