BM Berlin - Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) sucht rund vier Monate vor der Bundestagswahl den Schulterschluss mit den Gewerkschaften. «Ich werbe bei euch um Unterstützung» bei der Wahl am 22. September, sagte Schröder in seiner Rede vor dem Bundeskongress des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) gestern im Berliner ICC.
Der Kanzler schwor die Gewerkschafter auf den gemeinsamen Kampf für einen «starken und solidarischen Sozialstaat» ein. Immer wieder hob er die Gemeinsamkeiten zwischen Sozialdemokraten und Gewerkschaften hervor. Die umstrittene Steuer- und Finanzpolitik der rot-grünen Bundesregierung, die auch von den Gewerkschaften kritisiert wird, sprach er nicht an.
Der Union warf Schröder «rückwärts gerichtete» Politik vor. «CSU und CDU setzen die Abrissbirne an die Grundmauern des Sozialstaates und damit die Zukunft unseres Landes», sagte der Kanzler. Bei der Wahlentscheidung gehe es «nicht um Lager, sondern um Richtungen», es gehe um «Zukunft oder Vergangenheit».
Bereits am Vortag hatten der neue DGB-Vorsitzende Michael Sommer und IG-Metall-Chef Klaus Zwickel eindeutig Position für Rot-Grün bezogen. Zwickel betonte, die Gewerkschaften würden sich mit aller Entschiedenheit gegen das «schwarz-gelbe Kartell» und die «politische Restauration aus dem 19. Jahrhundert» zur Wehr setzen. Die politischen Trennlinien zeigten sich in der Zukunft vor allem bei der Reform des Arbeitsmarktes. Vom Ausgang der Auseinandersetzung um die Tarifpolitik und die Tarifautonomie hänge die Zukunft der Gewerkschaften ab.
Schröder sicherte den Gewerkschaften bei einem Wahlsieg den Erhalt der Tarifautonomie zu. Gewerkschaften und Arbeitgeber bräuchten keine «Einmischung von außen». Er hob als Bestätigung die erfolgreichen Tarifabschlüsse in der Metall- und Elektroindustrie sowie in der Chemie-Branche hervor und zeigte sich zuversichtlich, dass auch im Bau, in der Druckindustrie und im Einzelhandel «vernünftige Ergebnisse» zu Stande kommen. Die SPD setze auf starke Gewerkschaften «in kritischer Solidarität mit uns». Schröder: «Ich habe nicht vergessen, wo ich herkomme, deswegen weiß ich auch ganz genau, wo ich hingehöre.»
Schröder griff die Pläne der Union scharf an, Betrieben in Krisenzeiten auch Bezahlung unter Tarif zu ermöglichen. Dies würde Lohndumping Tür und Tor öffnen. Er forderte die Union zudem auf, am Freitag im Bundesrat dem Tariftreuegesetz zuzustimmen. Die rund 400 Delegierten des Kongresses sollten dies heute beim Auftritt von Unionskanzlerkandidat Edmund Stoiber (CSU) vor dem Kongress eindringlich einfordern.
Die SPD werde auch am «solidarischen Gesundheitssystem» festhalten. Sie setze weiter auf Solidarität zwischen Gesunden und Kranken, Jung und Alt sowie zwischen Besserverdienenden und Geringverdienenden. Eine Zwei-Klassen-Medizin werde es mit den Sozialdemokraten nicht geben, bekräftigte der Parteivorsitzende.
In der Familienpolitik soll in der kommenden Legislaturperiode der Ausbau von Betreuungseinrichtungen für Kinder mit vier Milliarden Euro vorangetrieben werden. Damit sollten vor allem für Frauen mehr Möglichkeiten geschaffen werden, Familie und Beruf zu vereinbaren, sagte Schröder und fügte hinzu, nur mit «massiven Investitionen» in Betreuungseinrichtungen gebe es gleiche Startchancen für Kinder. Der Union hielt der Kanzler «ein verstaubtes, antiquiertes und völlig veraltetes Familienbild» aus der «Kaiserzeit» vor. Deren Pläne, ein Familiengeld von 600 Euro einzuführen, seien unbezahlbar.
Schröder räumte gegenüber den Gewerkschaftern erneut ein, dass die Erfolge auf dem Arbeitsmarkt nicht ausreichten. Allerdings sei die Ausgangssituation heute besser als vor vier Jahren mit fast fünf Millionen Arbeitslosen. In Deutschland gebe es fast 500 000 Arbeitslose weniger. Zugleich sei die Zahl der Erwerbstätigen um 1,2 Millionen gestiegen. Schröder hatte zugesagt, die Arbeitslosenzahl bis Ende der Legislaturperiode auf 3,5 Millionen zu drücken. Sein Arbeitsminister Walter Riester verkündete gestern in der Bildzeitung: «Die Talsohle ist durchschritten.» Im Mai werde die Zahl der Arbeitlosen deutlich unter vier Millionen liegen. Im April betrug sie 4,024 Millionen.
Der Kanzler bekräftigte, dass er Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammenführen wolle. Es gehe aber dabei nicht darum, die Arbeitslosenleistungen auf Sozialhilfeniveau abzusenken. Vielmehr solle die Zersplitterung der Leistungen aufgehoben werden. Die Gewerkschaften hatten befürchtet, dass bei der Zusammenlegung zu Lasten der Leistungsempfänger Geld eingespart werden solle.