Stille Feier zum 82. Geburtstag

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Paul Badde

Rom - «Würde der Papst sehen, dass er absolut nicht mehr kann, dann würde er sicher zurück treten», hat Kardinal Ratzinger am 11. März Johannes Schießel in Rom anvertraut. Der Nebensatz ging gleich um die Welt: Tritt der Papst zurück?

Seine Hand zittert, die Unterlippe hängt herunter, die Hüfte schmerzt, er kann nicht mehr knien, der Kopf fällt ihm auf die Brust, die unheilbare Parkinsonkrankheit nimmt augenscheinlich mehr und mehr von ihm Besitz. Weil er kaum noch einen Schritt ohne fremde Hilfe tun kann, ist vor Wochen eine Art Rollschlitten für ihn entwickelt worden, auf dem er nun an hohen Festen und bei seinen öffentlichen Auftritten dezent die größeren Wege durch den Petersdom geschoben wird. Heute feiert der Papst seinen 82. Geburtstag. Große Feiern soll es allerdings nicht geben. Päpste feiern keinen Geburtstag.

Der Vatikan ist gestern Spekulationen über einen Rücktritt von Johannes Paul entgegengetreten. Der Papst selbst habe klar gestellt, «dass er in seinem Amt bleiben werde, solange Gott will», betonte Vatikansprecher Joaquín Navarro-Valls.

Päpste werden auf Lebenszeit gewählt, doch sieht das Kirchenrecht ausdrücklich die Möglichkeit eines freiwilligen Rückzugs vor. Dazu muss der Papst keine Gründe nennen; auch muss den Rücktritt niemand eigens annehmen. Allerdings gab es in der 2000-jährigen Kirchengeschichte lediglich einen solchen Fall.

Als der Mainzer Bischof Karl Lehmann vor zwei Jahren das Thema Papst-Rücktritt öffentlich ansprach, «wurde er dafür fast gekreuzigt», erinnert sich ein Vatikaninsider dieser Tage. Allein die Erwähnung der Worte «Papst» und «Rücktritt» innerhalb eines Satzes galt damals als Sakrileg.

Italienische Medien berichteten gestern wieder in großer Aufmachung über die Rücktritts-Debatte. Die Kardinäle Joseph Ratzinger und Oscar Rodríguez Maradiaga (Honduras) hätten mit ihren Rücktritts-Äußerungen «einen Versuchsballon starten lassen». Zugleich verwiesen Vatikanexperten darauf, dass sich der Gesundheitszustand des Papstes seit März dramatisch verschlechtert habe. Es gebe jetzt auch Atembeschwerden.

«Was am Leid des Papstes kaum jemand bedenkt», sagt der über 90-jährige Kardinal Stickler, «das ist, dass er doch ein leidenschaftlicher Sportler ist. Das muss für ihn die schlimmste Prüfung sein! Er war doch so sehr zuhause in seinem Körper. Schwimmen, Bergsteigen, Wandern, er hat alle Arten der Ertüchtigung und körperlichen Herausforderung geliebt wie wohl noch kein Papst vor ihm.»

Hält er vielleicht darum an einem Arbeits- und Reisepensum fest? Nächste Woche bricht er nach Bulgarien und Aserbeidschan auf. Er will sogar auf seinen Sommerurlaub verzichten. Es ist, als wolle er keine Minute mehr verlieren, während andere hinter allen Gebrechen die Konstitution seines eisernen Willens wie funkelndes Wunderwerk der Natur bestaunen.

Seine Hand zittert, aber nicht seine Mission, und nicht sein Geist. Wie viele Hände hat er schon geschüttelt? Zehntausende, Hunderttausende? Und weiter begrüßt er auch jetzt noch täglich und wöchentlich unzählige neue Personen. Als ihm dabei vor wenigen Wochen jedoch die Kollegin der Tagespost «Marie Czernin aus Deutschland» vorgestellt wurde, wandte sich der alte Habsburger gleich korrigierend zur Seite: «Aus Österreich! Aus Österreich!» Ihm scheint immer noch kein Gedanke zu entgehen, der im gleichen Raum gedacht wird, und kein Fehler, kein Irrtum.

Er ist stiller geworden, sagen seine Mitarbeiter, und hört doch mit seltener Konzentration jedem Wort in seiner Umgebung zu. Vielleicht hat die Kirche bei entscheidenden Fragen deshalb nur selten seine leitende Hand deutlicher in ihrer Leitung gespürt als gerade in der letzten Zeit, in der vor jedem Kirchenfest Gerüchte um seinen Rücktritt wie Pollenflug um die Welt gehen: bei der kompromisslosen Aufklärung der Pädophilie-Skandale ebenso wie bei seiner Beobachtung der Tragödie des Heiligen Landes, die seinen Schmerzen die größte Pein hinzuzufügen scheint.

Bei der Karfreitagsliturgie überließ er vor Ostern Kardinal Ratzinger, das schwere Kreuz für ihn zu tragen, doch seine mächtige Stimme war es, die danach dreimal den Petersdom füllte, als wolle hier ein Fluss den Berg hoch strömen: «Ecce lignum crucis! - Seht das Holz des Kreuzes, an dem das Heil der Welt gehangen.»

Seit Ostern hat er es kein Mal unterlassen, jeden Sonntagmittag am offenen Fenster seiner Wohnung über dem Petersplatz das «Regina Coeli» zu singen, in herzergreifender Gebrochenheit.

«Ich vertraue auf eure geistliche Unterstützung, um treu in dem Amt fortzufahren, das der Herr mir anvertraut hat», rief er bei der letzten Generalaudienz am letzten Mittwoch der Menge zu. Er steht immer noch in aller Herrgottsfrühe auf.

Zum Unmaß seiner Arbeit betet er jeden Tag «sicherlich mindestens einen kompletten Kreuzweg, wozu wir vor lauter Arbeit ja nur selten kommen», wie Pater von Gemmingen vom Radio Vatikan lächelnd sagt. Am Abend will das Licht in seinem Fenster selten vor 11 Uhr erlöschen. «Als Leidender hat er endlich seine wahre Identität gefunden», sagt jetzt Schwester Judith aus Chicago, die aus dem Schatten der Kolonnaden zu ihm hochschaut, «sein ganzes Pontifikat war nur ein Vorspiel zu dem, was er heute ist».