Mannheim - Am Ende gab es noch nicht einmal einen Blumenstrauß für den frisch gekürten Kanzlerkandidaten. Es war einer der wenigen Schönheitsfehler in der liberalen Krönungsmesse, die da gestern zum Abschluss des FDP-Parteitags zelebriert wurde: Ein umjubelter Kanzlerkandidat Guido Westerwelle, der ergriffen «Mein Gott» murmelte, als der Beifallssturm der Delegierten gar nicht mehr enden wollte. Und sogar der fehlende Blumenstrauß war Teil der perfekten Inszenierung, die den Eindruck einer in letzter Minute getroffenen Entscheidung vermitteln sollte. Einer Entscheidung, die in Wahrheit schon seit Wochen feststand.
Der historische Tag der Liberalen beginnt in aller Frühe: Um 8.15 Uhr kommt der Bundesvorstand zu einer Sondersitzung zusammen, um die letzten Details zu klären. Generalsekretärin Cornelia Pieper stellt den Antrag vor, den die 660 Delegierten später mit gerade mal zwei Gegenstimmen verabschieden werden: «Als Partei für das ganze Volk treten wir mit unserem eigenen Kanzlerkandidaten an. Die FDP will die Bundestagswahl am 22. September 2002 mit Dr. Guido Westerwelle zu einem Erfolg für Deutschland machen.»
Zum ersten Mal küren die Liberalen einen Kanzlerkandidaten. Da muss ein Mann für historische Stunden her. Westerwelle bittet den Ehrenvorsitzenden Hans-Dietrich Genscher, ihn den Delegierten offiziell als Kanzlerkandidaten vorzuschlagen. Genscher willigt ein, bittet sich aber eine Viertelstunde Redezeit aus. Der frühere Außenminister hat Erfahrung mit solchen Momenten. Unvergessen sein Auftritt auf dem Balkon der Prager Botschaft. «Ich bin heute zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen...». Der Rest ging im Jubel der befreiten DDR-Bürger unter. So soll's auch bei den Liberalen sein.
Jetzt steht Genscher am Rednerpult und bittet die Delegierten, «sich für einen eigenen Kandidaten für das Amt des Bundeskanzlers zu entscheiden». Der Jubel, der folgt, erinnert tatsächlich ein bisschen an Prag. Nur dass hier keine ausreisewilligen DDR-Bürger sitzen, sondern regierungswillige Freie Demokraten. Das liberale Urgestein ist Teil der Inszenierung. Genscher, der intern bereits seit Wochen als Westerwelles Königsmacher feststand, soll dessen Kanzlerkandidatur jene Seriosität verleihen, die so mancher in der Spaßpartei bislang vermisste. Auch der FDP-Chef gibt sich auffallend ernsthaft, redet lange über Grundwerte. «Wer nicht wenigstens ein Mal Steine auf Polizisten geworfen hat, gilt als langweilig. Wer noch nie Gras geraucht hat, gilt als spießig», beschwert er sich. «So eine Lebenseinstellung finden wir nicht spaßig.»
Zum Thema Nahost findet der Parteichef ebenfalls klare Worte, nachdem sein Stellvertreter Jürgen Möllemann am Vortag dem Vorwurf des Antisemitismus nach Meinung einiger nur halbherzig entgegengetreten war. «Kein Widerstandsrecht der Welt legitimiert Terrorakte», stellt Westerwelle unzweideutig klar. Die Aufregung um die antisemitischen Ausfälle des Ex-Grünen Jamal Karsli lagen wie ein dunkler Schatten über dem Parteitag. Die prominente Liberale Hildegard Hamm-Brücher hatte als Reaktion in einem Brief gar mit ihrem Parteiaustritt gedroht. Westerwelle sah sich genötigt, Hamm-Brücher in einem persönlichen Brief zu beruhigen.
Auch Conny Pieper störte den allgemeinen Jubelrausch. Allein schon optisch. Während die Liberalen ihren Kanzlerkandidaten glückstrahlend feierten, setzte die Generalsekretärin ein Gesicht auf, als sei gerade irgendwo eine 18 umgefallen. Kein Wunder: Binnen weniger Tage ist aus der umjubelten Wahlsiegerin von Sachsen-Anhalt ein ernster Problemfall für die FDP geworden. In einem gänzlich auf sie zugeschnittenen Wahlkampf hatte sie ihren Landsleuten versprochen, bei einem Erfolg der Liberalen der Landesregierung beizutreten. Das gilt nun nicht mehr. Heute wird sie in Magdeburg erklären, dass sie lediglich den Vorsitz der FDP-Fraktion im Landtag übernehmen will. Begründet wird dies offiziell mit den «komplizierten Koalitionsverhandlungen» mit dem designierten Ministerpräsidenten Wolfgang Böhmer (CDU). Tatsächlich dürfte aber auch ein Blick in die sachsen-anhaltische Landesverfassung die Entscheidung beeinflusst haben. Die verbietet nämlich Ministern bezahlte Nebentätigkeiten. Den gut dotierten Berliner Parteijob mit einem geschätzten Monatseinkommen von rund 10 000 Euro müsste eine Ministerin Pieper aufgeben - oder auf das Gehalt verzichten. Da sie zu beidem aber nicht bereit ist, wird sie nun halt Fraktionschefin - und behält Job und Geld.
Doch damit nicht genug. Pieper, so war am Rande des Parteitages aus FDP-Kreisen zu erfahren, will sich heute auf Platz eins der Landesliste für die Bundestagswahl setzen lassen. Zuvor hatte sie mehrfach erklärt, ihr Bundestagsmandat niederlegen zu wollen. Damit dürfte klar sein, dass die ehrgeizige Blondine ihren Wechsel in die Heimat nur als Zwischenspiel auf dem Weg zu Höherem versteht. Bei einer Regierungsbeteiligung der FDP nach dem 22.September will sie mit an die Macht im Bund - am liebsten als Bildungsministerin.
Im FDP-Präsidium löst das Karrierechaos der Generalin nur noch Kopfschütteln aus. Sie habe nie zu Ende gedacht, was sie eigentlich wolle und eiere nun hin und her, heißt es da. Außerdem fürchten die Granden einen beträchtlichen Imageschaden für die gesamte FDP, wenn die Generalin ihre persönlichen Interessen so unverhohlen über die der Partei stellt. So was macht einsam. Am Ende des Parteitages wirkte Conny Pieper isoliert - von den Parteifreunden und vom Jubel. Westerwelle sollte das eine Warnung sein. Auch Pieper wurde einst von Genscher als Kandidatin ausgerufen.