Berlin - Das Gesundheitswesen in Deutschland ist ein schier undurchdringliches Dickicht. 150 Milliarden Euro werden jährlich in der gesetzlichen Krankenversicherung (70 Millionen Deutsche sind darin versichert) ausgegeben. Pro Jahr stellen Apotheker 30 Millionen Rezepte aus, Kassenärzte rechnen 42 Millionen Behandlungen ab, dazu kommen 4,8 Millionen Abrechnungen von anderen Leistungserbringern wie Hebammen, Orthopäden, Psychotherapeuten, Optikern und Rettungsdiensten.
In diesem Geflecht Betrügereien aufzudecken, gleicht der Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Doch seit Kurzem vermelden die Ermittlungsgruppen der Krankenkassen viele Erfolge. Laut ARD-Magazin "Plusminus" stieg die Zahl der aufgedeckten Fälle innerhalb von zwei Jahren von 15 300 auf jetzt 23 500. Die Schadenssumme verdoppelte sich auf 60 Millionen Euro.
Der Erfolg ist einer Gesetzesänderung nach der Gesundheitsreform 2004 zuzuschreiben. Paragraf 197a schreibt den Krankenkassen seither vor, Ermittlungsstellen gegen den Betrug im Gesundheitswesen einzurichten.
Bei der Techniker Krankenkasse (TK) in Hamburg leitet Frank Keller eine zehnköpfige Ermittlungseinheit. Der 49-Jährige war selbst lange Jahre Chef einer bundesweiten Fahndungstruppe beim Bundesgrenzschutz. Im Gesundheitswesen, sagt er, treffe er aber auch immer wieder auf "zutiefst kriminelle Charaktere". Die Betrügereien gingen durch alle Leistungsbereiche des Systems.
Insgesamt konnte die TK 1,3 Millionen Euro wieder hereinholen, die durch Betrug verloren gegangen sind. Bei der Barmer Ersatzkasse waren es 3,2 Millionen Euro. Die DAK holte sich 2,3 Millionen Euro wieder.
Die sogenannten Rückforderungen sind bei beiden Kassen erheblich höher. 181 Millionen Euro bei der TK, 131 Millionen Euro bei der Barmer. "Dabei handelt es sich aber nicht immer um Betrug. Darin stecken schlicht Abrechnungsfehler durch Menschen oder die Software bei Ärzten und Krankenhäusern", sagt Barmer-Sprecher Thorsten Jakob. "Das muss man differenziert betrachten."
TK-Fahnder Keller hat in diesem Jahr einige große Betrugsfälle aufgedeckt. Etwa solche mit sogenannten "Luftrezepten". Dabei lesen Ärzte gebündelt Versichertenkarten ein (meist gestohlen oder von eingeweihten Versicherten zur Verfügung gestellt), stellen Rezepte aus und rechnen das Arzt-Honorar ab. Die Rezepte werden in kooperierenden Apotheken abgerechnet, aber nie ausgegeben.
"Im Saarland gab es eine Ärztin, die ihre Praxis nur 90 Minuten pro Tag geöffnet hatte, um Versichertenkarten einzulesen", sagt Keller. "Diese Betrugsart haben wir im Saarland, in Hessen und in Hamburg aufgedeckt. Und sie weitet sich aus." Der Schaden geht in die Millionen.
Aber vorsätzlichen Betrug haben Keller und Kollegen auch bei Hebammen festgestellt. "Ein angesehener Beruf", sagt Keller. "Da kann man sich so was gar nicht vorstellen." Mit "so was" meint Keller den Fall einer Hebamme aus dem Umland von Hamburg, die zu ihren Betreuungsfällen verschiedener Kassen fährt und dann mit jeder Kasse Einzelfahrten abrechnet.
Die TK stellt fest, dass in den jeweiligen Branchen inzwischen angekommen ist, wie effizient die Krankenkassen mittlerweile Betrugsfälle aufdecken können. Und die Gauner im Gesundheitswesen sollten sich hüten. Keller kündigt an, schon bald noch weitere, sehr viel effektivere Methoden aus der Kriminalistik in seiner Ermittlungsgruppe anzuwenden.