Der Bundesminister für Verkehr, Bauen und Wohnen, Manfred Stolpe (SPD), nimmt im Morgenpost-Interview Stellung zum Fehlstart der Bundesregierung.
Berliner Morgenpost: Werden die SPD-Spitzenkandidaten bei den Landtagswahlen in Niedersachsen und Hessen an diesem Wochenende stellvertretend für die Bundesregierung und den Kanzler abgestraft?
Manfred Stolpe: Die Stimmung in Deutschland ist zweifellos schlecht. Daran ist die Entwicklung nach der Bundestagswahl nicht ganz unschuldig. Zum einen haben wir nicht damit gerechnet, dass die Verlierer der Bundestagswahl den Wahlkampf sofort mit aller Härte fortsetzen. Zum anderen glaubten wir, behutsam mit Aussagen über die Regierungspolitik sein zu müssen. 1998 gab es nach der Wahl ein Feuerwerk von Ideen - diesmal wollten wir erst solide Maßnahmen erarbeiten und dann vorstellen. Wir haben unterschätzt, dass die Wähler mit der Stimmabgabe eine prompte Erledigung aktueller Probleme erwarten. Das Ausmaß unseres Popularitätsverlusts hat mich allerdings überrascht.
Welche Folgen hätte eine Wahlniederlage in den Ländern für die rot-grüne Bundesregierung, für Kanzler Schröder?
Der Bundeskanzler ist sich darüber im Klaren, dass er bald massive Reformen vorstellen muss. Absichtserklärungen reichen nicht mehr aus. Wir werden dann in Zusammenarbeit mit dem Bundestag und dem Bundesrat herausfinden müssen, was machbar ist und was nicht.
Ich hoffe sehr, dass sich quer durch alle politischen Lager die Einstellung durchsetzt, dass in Deutschland etwas getan werden muss. Mit der parteipolitischen Rechthaberei muss Schluss sein. Ich setze auf eine Koalition der Vernunft: bei Steuern, Wirtschaft, Arbeitsrecht und Zuwanderung.
Wird die Arbeit mit einem unionsdominierten Bundesrat für den Kanzler nicht sogar leichter, wenn man an die Widerstände der Gewerkschaften und SPD-Linken gegen seine Politik denkt?
Die Situation ist so schwierig, dass wir jetzt handeln müssen. Das wird auch von vielen akzeptiert. Für große ideologische Debatten haben wir keine Zeit mehr. Ab Ende Februar dürfte die weltpolitische Lage noch schwieriger werden. Zusammenarbeit ist angesagt, im Interesse Deutschlands.
Fürchten Sie einen Richtungsstreit in der SPD?
Es wird intensive Debatten um das Arbeitsrecht geben. Die SPD- Spitze ist darauf angewiesen, alle mitzunehmen. Man kann nicht an die Opposition heranrücken und dabei die eigenen Leute vergessen. Alle müssen zu Kompromissen bereit sein.
Die intensive Debatte hat ja schon begonnen. Superminister Clement will den Kündigungsschutz lockern und Arbeitsrechte überprüfen. Unterstützen Sie Clement dabei?
Ich finde es richtig, dass Wolfgang Clement diese Themen ins Gespräch bringt. Denn die Debatte darüber ist unvermeidlich. Wir haben einen engen Draht zueinander. Clement und ich planen, ein Programm mit mehr als 20 handfesten Maßnahmen für den Mittelstand vorzustellen. Im Osten sind die Herausforderungen zwar etwas brisanter als im Westen, doch die Nöte des Mittelstands sind ein gesamtdeutsches Phänomen.
Woran denken Sie konkret?
Das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz, das sich im
Osten bewährt hat, sollte auf ganz Deutschland ausgedehnt werden. Das schafft uns eine Zeitverkürzung im Planfeststellungsverfahren, die bares Geld wert ist.
Oder denken Sie an die neue Mittelstandsbank. Es reicht nicht, nur die Förderprogramme zu konzentrieren und die Beratung zu verbessern. Die zentrale Frage ist die Vermittlung von Eigenkapital an Unternehmen, die von den Banken schwer Kredite bekommen.
Es geht also um Rückbürgschaften für Banken und Haftungserleichterungen. Wir müssen schon im ersten Halbjahr 2003 wirksame Instrumente in der Hand haben. Die Ankündigungen waren richtig, aber das Publikum ist ungeduldig, vor allem im Osten.
Was ist mit Ihrer Ankündigung, einen Sonderfonds für Not leidende Kommunen einzurichten?
Wir sind gerade dabei, den Bedarf für ein mögliches Hilfsprogramm zu erfassen. Zahlreiche Städte haben erhebliche Defizite im Infrastrukturbereich. Aus Geldmangel können sie sich nicht mehr um Straßen und öffentliche Gebäude kümmern. Wir müssen Wege finden, dass diese Kommunen dennoch Aufträge an die Bauwirtschaft erteilen können. Damit helfen wir nicht nur der Not leidenden Bauindustrie, sondern wir schaffen auch Tausende von Arbeitsplätzen und steigern die Attraktivität der Städte.
Dabei geht es nicht um ein "Sonder-Jammer-Ost- Programm", sondern um Hilfen für alle Not leidenden Städte in Deutschland. Kriterium könnte eine Arbeitslosenquote von 15 Prozent sein.
Woher soll das Geld dafür kommen? Die Bundesbank hat bereits erklärt, dass sie ihre Reserven dafür nicht hergeben will.
Ich kann die Goldbarren nicht aus dem Keller der Bundesbank tragen. Es sind verschiedene Finanzierungsinstrumente denkbar. Es darf keine Tabus geben. Wir werden über Umschichtungen nachdenken, über günstige Darlehen und vorhandene Programme.