Europas Offenbarungseid

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Nikolaus Blome

Mehr als zwei Dutzend europäischer Nationalstaaten können sich nicht auf eine nahtlos geeinte Haltung zum Irak-Krieg einigen. Ist das eine Überraschung? Nein, die Fortschritte hin zu einer gemeinsamen Außenpolitik sind und bleiben mühsam. Bis sich die Staaten der Europäischen Union, womöglich gar per Mehrheitsentscheid, auf die einheitliche Vertretung ihrer Interessen in der Welt verständigen werden, dürften noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte vergehen. Trotzdem ist die Irak-Erklärung der acht Staaten ein dramatischer Vorgang: Drei wichtige Alt- und drei wichtige Neu-Mitglieder der EU wollen sich gar nicht auf eine gemeinsame Position einigen. Sie haben die anderen noch nicht einmal gefragt, ob sie auch unterschreiben wollen oder nicht.

Das hat es in der Geschichte der Europäischen Union noch nicht gegeben. Das ist die wahre, nach innen statt nach außen zielende Botschaft der Irak-Erklärung, auf die eine ebenso wahre Antwort zu geben der jetzt eilig geplante EU-Sondergipfel sich nicht trauen wird. Denn sie müsste lauten: Nach mehr als 45 Jahren europäischer Einigung wissen wir Europäer nicht, wer wir sind. Ja, wir wissen noch nicht einmal, ob wir es überhaupt wissen wollen.

Die acht Staaten hätten viele anderen Wege beschreiten können, um den USA ihre klare Unterstützung kund zu tun. Sie haben ja Recht damit; Massenvernichtungswaffen in der Hand eines Diktators können ein Grund für Krieg sein. Das, anders als beim Ringen um die Freiheit des Kosovo, von Anfang an strikt ausgeschlossen zu haben, darin liegt der Fehler der Bundesregierung. Sie wird am Ende wohl isoliert dastehen, in der westlichen Welt wie in Europa.

Trotzdem bleibt wahr, dass mindestens die wichtigen unter den acht Staaten von den vielen Wegen absichtsvoll den gewählt haben, der zugleich den Lebensgrundsatz der EU aufkündigt: Den kleinsten gemeinsamen Nenner so gut es geht zu vergrößern, mindestens jedoch ihn zu respektieren, weil darüber hinaus ohnehin jeder frei ist in seinem nationalen Handeln. Damit geben sie den herablassenden Worten des US-Verteidigungsministers Rumsfeld vom "Alten Europa" eine grundsätzliche Replik: Statt sich aus Prinzip, vielleicht nur um der berechtigten Selbstachtung als Gemeinschaft willen, dagegen zu verwahren, brechen sie ohne Not mit der Vision ihres Kontinents.

Auch für die USA wird daraus kein Segen werden. Italien und Spanien werden sich bei nächster Gelegenheit wieder ganz anders positionieren. Großbritannien allein aber kann den USA kein machtvoller Verbündeter sein; vom "Alten Europa" entfernt, kann es den Amerikaner nicht einmal mehr die Brücke sein, die sie trotz allem brauchen.