Brüssel - Der Solidaritäts-Brief der acht europäischen Staats- und Regierungschefs an die Adresse der US-Regierung wird wohl ein politisches Nachspiel in der EU haben. Der griechische Regierungschef Kostas Simitis, derzeit auch EU-Präsident, will die Aktion bei einem Sondergipfel der EU-Regierungen in knapp zwei Wochen zur Sprache bringen. Geplant ist ferner ein Treffen der Außenminister, zu dem auch die 13 Kandidatenländer eingeladen sind. Eine endgültige Entscheidung steht noch aus. Die Bundesregierung begrüßte den griechischen Vorstoß. Man habe in der Vergangenheit mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass Deutschland an einer gemeinsamen europäischen Position interessiert sei.
Die Verstimmung über die Initiative geht mittlerweile sehr viel tiefer als die öffentlichen Reaktionen zeigen. Denn mit ihrer Briefaktion haben der britische Premier Tony Blair, Spaniens Regierungschef José María Aznar, Italiens Silvio Berlusconi und der dänische Regierungschef Anders Fogh Rasmussen möglicherweise gegen den EU-Vertrag verstoßen. Dort heißt es in den entsprechen Passagen zur Außen- und Sicherheitspolitik, dass sich die EU-Mitgliedstaaten jeder Handlung enthalten, "die den Interessen der Union zuwiderläuft oder ihrer Wirksamkeit als kohärente Kraft in den internationalen Beziehungen schaden könnte".
Die griechische EU-Präsidentschaft war, wie fast alle anderen Nicht-Unterzeichner des Appells, von den Initiatoren des Briefes weder informiert noch um eine Beteiligung an der Unterschriftenaktion gebeten worden. Erst am Montag hatten sich die EU-Außenminister auf eine gemeinsame Haltung in der Irak-Frage geeinigt. Nach Auffassung von EU-Rechtsexperten ist somit das Vorgehen der Unterzeichner ein klarer Verstoß gegen den EU-Vertrag.
Unabhängig von den rechtlichen Aspekten des eigenmächtigen Vorgehens der acht Staats- und Regierungschefs hat sich der politische Unmut noch längst nicht gelegt. In mehreren EU-Hauptstädten wird bezweifelt, dass die Briefaktion so kurzfristig entstanden ist, wie es derzeit berichtet wird. In Brüssel gibt es Hinweise darauf, dass die Aktion schon um den 19. Januar herum geplant gewesen sei - vor dem deutsch-französischen Schulterschluss anlässlich der 40-Jahr-Feiern des Elysée-Vertrages.
Auch in den Unterzeichner-Ländern regt sich inzwischen Unmut. So steht in Tschechien Václav Havel in der Kritik. Premier Vladimir Spidla sagte, er sei auch angesprochen worden, habe die Unterzeichnung aber abgelehnt.
Dagegen hat sich der slowakische Premier Mikulas Dzurinda dem Dokument nachträglich angeschlossen.
Frankreichs Außenminister Dominique de Villepin warnte davor, ein Europa gegen das andere zu setzen. Bedauern kam auch von Österreichs Außenministerin Benita Ferrero-Waldner. Durch den Aufruf entstehe der Eindruck, Europa sei gespalten.