Israel wählt - und erwartet wieder Neuwahlen

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Norbert Jessen

Foto: eba/lfb gr

Tel Aviv - Auch am Vorabend des Wahltages in Israel will die sonst doch übliche Spannung nicht aufkommen. Allenfalls ein Wahltoto über Internet, gegen das die Polizei wegen illegalen Glücksspiels ermittelt, erregt kurz die Nation. Ansonsten verspürt keine der statistisch erfassbaren Wählergruppen wahre Glücksgefühle. Auch nicht die stark an Stimmen zulegende Regierungspartei Likud von Premier Ariel Scharon. Denn an ihrer knappen und rechten Koalition wird sich kaum etwas ändern. Auch nicht an deren Unfähigkeit, die sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Probleme anzugehen, die ebenfalls wachsen.

24 Stunden vor der Wahl ist zwar die Werbung in den Medien verboten. Doch verschieben die Parteien ihre Anstrengungen auf den ganz persönlichen Kontakt mit potenziellen Wählern. Aber auch die mit Postern fast zugeklebten Autos der Wahlhelfer fallen diesmal weniger ins Auge. Nur in einem Sektor zählt jede Stimme: Bei den Ultra-Orthodoxen geht es nicht um die Regierungsführung, sondern um den drohenden Verlust politischer Einflussnahme. Die neue populistisch-liberale Partei Schinui (Veränderung) will sie aus jeder zukünftigen Koalition verdrängen, was lang erkämpfte Vorrechte der Ultrafrommen bedroht.

Seit Tagen kommt es fast täglich zu Reibereien in den Stadtvierteln der betreffenden Wähler. Die Polizei muss Schlägereien zwischen Anhängern der bekannten ultra-orthodoxen Parteien und denen der neu auftretenden ultra-nationalistischen Partei Cherut (Freiheit) schlichten. Die offen rassistisch argumentierende Cherut ist bei den Ultrafrommen beliebter als den Rabbinern lieb ist.

Aber die allerletzten Umfragen (am Wahltag selbst dürfen keine mehr veröffentlicht werden) zeichnen eine leichte Rückwärtsbewegung der Wähler zu ihren alten Stammparteien - auch der Frommen. Auch die Stellung der Sozialdemokraten als Nummer zwei vor der Schinui ist nicht mehr so gefährdet wie noch am Wochenende.

Nicht die Wahlen, sondern der spannungslose Wahlkampf könnte in die Geschichte eingehen. Zum ersten Mal wagte es auch eine Großpartei, vor Wahlen von der Unumgänglichkeit der Räumung von Siedlungen zu reden. Der fast anonyme Sozialdemokrat Amram Mizna machte sich so den Wählern bewusst. Auch wenn sie ihn in diesem Wahlkampf dafür bestrafen: "Die Hoffnung wird siegen", verkündete Mizna. Und meinte die nächsten Neuwahlen. Mit denen rechnen über 70 Prozent im Laufe der nächsten zwei Jahre.

Ariel Scharon wäre froh, wenn die drohenden Neuwahlen sein einziges Problem blieben. Aber der Premier weiß: Die Polizei wird ihn bald zu den Korruptionsaffären seiner Söhne verhören. Auch wenn der Vater sich weiter von seinen Söhnen distanzieren kann, bleibt ein schlechter Geschmack zurück. Die Jagd auf die Journalisten, die die geheimen Ermittlungen gegen den Premier ans Licht der Öffentlichkeit brachten, zeigt bereits: Die Pressefreiheit in Israel erlitt einen weiteren Schlag unter die Gürtellinie - ganz unabhängig vom Schicksal des Premiers.

Zusätzlich zur Wahrung des Wahlfriedens muss Israels Polizei am Wahltag auch verstärkt für den Schutz vor Terror sorgen. Die Armee wurde in höchste Alarmbereitschaft versetzt, die Autonomiegebiete wurden komplett abgeriegelt. Trotz Absperrung aller Übergänge häufen sich dennoch gezielte Vorwarnungen.

Die palästinensischen Medien verfolgen aufmerksam die Wahlen in Israel. Sie erwarten keine Wende, obwohl Israels Verteidigungsminister Schaul Mofas am Sonntag einen dramatischen Aufruf an die palästinensische Führung ankündigte - nach den Wahlen und nach einer Auswechslung von Palästinenserpräsident Jassir Arafat. In Israel heißt es, Scharon ist immer für eine Überraschung gut. In den Autonomiegebieten heißt es: eine schlechte Überraschung.