Musik

Der Mann für den Jahrhundertsong

| Lesedauer: 9 Minuten
Alexandra Kilian

Klaus Meine hat den erfolgreichsten Song zum Fall der Mauer geschrieben. Ein Gespräch über das Rockerleben und Berlin

Das Brot ist der Durchbruch. „Aus Hannover kommt das?“, fragt Klaus Meine, als wir uns im „Regent“ treffen. Ja, der Gaues liefere das. „Ach, das ist gut“, sagt Meine. Und greift zu. Der Scorpions-Sänger kommt aus Hannover. Seit 50 Jahren macht Meine Musik, tourt auch mit 66 Jahren durch Amerika, Europa, Asien. 1991 geriet der von ihm verfasste Song „Wind of Change“ zur erfolgreichsten Single weltweit. Als Hymne des Mauerfalls gilt er. Obwohl die Idee in Moskau entstand – und das Lied erst Monate nach dem Mauerfall veröffentlicht wurde. 2005 kürte das ZDF „Wind of Change“ zum „Jahrhundertsong“.

Berliner Morgenpost:

Herr Meine, mit „Wind of Change“ haben Sie den vor 25 Jahren herrschenden Zeitgeist erfasst. Gab es eine Phase, in der Sie der Song genervt hat? Weil Sie nur damit verbunden werden?

Klaus Meine:

Ein Song, der weltweit gespielt wird, und den Millionen in Südamerika und Russland und in Asien und Europa lieben und immer wieder hören wollen, nervt nicht. Aber ja, natürlich: Es ist schön, wenn wir nicht nur auf den einen Song reduziert werden. Das wird uns auch nicht wirklich gerecht. Weil es viele Titel gibt, die in der Rockwelt einen ähnlich hohen Stellenwert haben.

Nicht in Deutschland.

Nein, in den USA. Da sind „Rock You Like a Hurricane“, „No One Like You“, „The Zoo“ noch heute im Radio große Klassiker. Aber hier ist die Wahrnehmung noch immer sehr fokussiert auf „Wind of Change“. Mit dem zeitgeschichtlichen Hintergrund fällt der Song aber weltweit aus dem Rahmen. Er wurde vor Ende des Kalten Krieges, vor dem Mauerfall geschrieben. Und hat ein Gefühl ausgedrückt. Das ist ja auch kein Song über Berlin – das ist ein Song über Moskau. Weil wir damals nun mal in Moskau, nicht in Berlin gespielt haben. Aber dort haben wir eine junge Generation erlebt, die gesagt hat, dass der Kalte Krieg bald vorbei sein wird. Mit Gorbatschow wird sich die Welt verändern, hieß es damals.

Mit Willy Brandts Worten 1989 im Schöneberger Rathaus, „von den Winden der Veränderung, die über Europa ziehen“, hat der Song also tatsächlich nichts zu tun.

Nein, ich wüsste nicht, dass Willy Brandt in seiner Rede das Zitat aus dem Song abgeleitet hat. Er lag damals auf der Hand, der Wind der Veränderung.

So wie jetzt wieder, 25 Jahre nach dem Mauerfall. Waren Sie zum Jubiläum in Berlin?

Wir sind momentan oft in Berlin. Seit Anfang 2013 noch viel öfter. Weil unser Sohn hier lebt. Im ehemaligen Osten, er ist Produktmanager bei Universal. Berlin ist eine Weltstadt, wirklich cool. So viele Künstler aus aller Welt kommen hierher, fühlen sich magisch angezogen.

Wie David Bowie in den 80er-Jahren schon.

Ja, das gab es immer schon. Genauso wie die deutschen Kunstschaffenden, die sich hier schon immer vom Vibe angezogen gefühlt haben. Und jetzt, so viele Jahre danach, da spürt man hier auf jedem Schritt immer noch, wie viel Geschichte die Stadt atmet. Diese friedliche Revolution, die tanzenden Menschen auf der Mauer, das ist einfach immer noch so präsent, und ich hoffe, dass noch viel mehr dafür getan wird, die Erinnerung daran wachzuhalten. Denn das war eine Revolution, die aus dem Volk kam. Bei der kein einziger Schuss gefallen ist. Das ist einfach fantastisch.

Wo haben Sie diesen Moment erlebt?

Wir waren in Paris, hatten dort eine Einladung in einen Club von unserem Plattenlabel. Und irgendwann, später am Abend, sagte Rudolf Schenker: „Guckt mal da, auf dem Fernseher, das gibt’s doch nicht! Da tanzen die Leute auf der Berliner Mauer! Das ist ja der Wahnsinn!“ Ich hätte mir an dem Abend so sehr gewünscht, in Berlin zu sein. Obwohl man die Nachrichtenlage zuvor ja verfolgt hat und auch von den Montagsdemonstrationen wusste. Dass es dann so schnell gehen und so emotional werden würde, das hat keiner geglaubt.

Was haben Sie empfunden? Auch im Hinblick auf die Erfahrungen, die Sie als Band während der Teilung gemacht haben.

Große Freude. Das Gefühl, einen zeitgeschichtlichen Moment zu erleben, von dem man geträumt hat, aber nicht davon ausgehen konnte, dass er in unserem Leben noch je Wirklichkeit werden würde. Wir haben oft in Berlin gespielt in den 70ern. In der „Dachluke“ in Kreuzberg. Da sind wir oft über die Zonengrenze gefahren – wurden mit unserem bunten VW-Bus an der Grenze in Helmstedt angehalten. Unser Auto und wir dazu wurden vollkommen auf den Kopf gestellt. Das war schon abgefahren. Und nach dem Mauerfall haben wir am Potsdamer Platz mitRoger Waters gespielt. Da saßen über 250.000 Leute auf dem ehemaligen Todesstreifen, das war unglaublich.

Haben Sie am 9. November 1989 an „Wind of Change“ denken müssen?

Nein. Daran habe ich in dem Moment nicht gedacht. Wir waren ja mitten in der Arbeit für unser neues Album. Wir haben uns Gedanken um die erste Single gemacht, das sollte eine Rocknummer werden und keine Ballade. Es war zu dem Zeitpunkt gar nicht sicher, ob „Wind of Change“ überhaupt auf das geplante Album kommen würde. Der Produzent hat letztendlich das Potenzial erkannt.

Ärgert es, dass genau der Song, der aus Ihrem Songmuster fiel, der erfolgreichste war?

Sie müssen das einfach aus unserem Blickwinkel sehen: Unsere Rocksongs waren und sind – weltweit – ebenso erfolgreich. In Deutschland vielleicht weniger als in den USA. Ich glaube, die Kraft liegt in der Authentizität des Songs.

Spielen Sie ihn heute noch oft – oder verzichten Sie gern mal darauf bei einem Konzert?

Würden Deep Purple ein Konzert spielen ohne „Smoke on the Water“? In diesem Sinne: Nein. Und es ist schön zu sehen, dass es noch immer so viele Menschen in Ost oder West gibt, die von diesem Song berührt sind. Aber natürlich, wie das bei allen großen Hits ist, gibt es auch manche, die stöhnen und sagen: „Oh Gott, nicht schon wieder ‚Wind of Change‘!“

Wie lange hat es bei Ihnen gedauert, bis die Teilung aus dem Kopf war?

Besonders in Berlin muss man oft daran denken, wenn man den Mauerverlauf am Brandenburger Tor überquert. Wir alle sollten die Mauer nicht vergessen, damit die neuen Feindbilder, die sich in den Köpfen aufbauen, keine Chance haben. Wir wollen doch weltweit in eine friedliche Zukunft gehen.

Und wollten Sie nicht längst aufhören?

Ja, wir wollten 2010 aufhören. Aber dann haben wir nach über 200 Konzerten gesehen, dass wir längst noch nicht überall gespielt hatten, und hatten immer noch so viel Spaß, dass wir die Gitarren noch längst nicht in die Ecke stellen wollten.

Nächstes Jahr feiern Sie Ihr 50-jähriges Jubiläum, wäre doch auch schade.

Ja, mir kommt das etwas schwer über die Lippen (lacht), aber ja, es sind 50 Jahre, seit Rudolf Schenker die Band 1965 gegründet hat. Ich bin 69/70 dazugestoßen. Mit einem Album, einer Doku über die Band, „Forever and a Day“, und natürlich vielen Konzerten weltweit werden wir das Jubiläum mit unseren Fans feiern.

Wird es auch wieder nach Moskau gehen?

Wir haben keinen konkreten Plan. Bei der Trauerfeier für Peter Amend, unserem langjährigen Manager, haben wir wieder gesehen, wie klein dieses Musikbusiness eigentlich ist – und wie weltweit unser Netzwerk, das wir uns jahrzehntelang aufgebaut haben. Es gibt Anfragen aus aller Welt.

In Moskau hatten Sie die Idee zu „Wind of Change“. Vielleicht gäbe es dort Potenzial für den nächsten „Jahrhundertsong“.

Einen Jahrhundertsong – wie der Name schon sagt – schreibt man nicht alle Tage.