Berlin. Ach, der „ganze alte Achtziger-Kram“, sagt Rick Astley zu Beginn seines Konzerts im Admiralspalast mit einer wegwerfenden Geste. Die Menschen gucken bang. „Und genau den werden wir hier heute Abend singen!“ Puh, Erleichterung. Man muss vielleicht erklären, dass Rick Astleys bekanntester Hit, „Never Gonna Give You Up“, schon vor Jahren zu einem der nervtötendsten Internet-Witze mutierte. Sensationsheischende Links locken User auf eine Seite, auf der statt der versprochenen Promi-News Astleys Plastikpop-Song erklingt. „Rickrolling“ nennt sich der Scherz. Wer auf Youtube „Rick Astley 50 Full Album“ sucht, wird übrigens ebenfalls „gerickrollt“, das nur als Hinweis.
Wie wehrt sich da ein Künstler? Indem er einfach sein Publikum rickrollt, und zwar gründlich. Rick Astley, schwarzer Anzug, braune Tolle, unverändert jugendliches Gesicht, weiß genau: Wegen „Together Forever“ und „Whenever You Need Somebody“ sind die meisten an diesem unverschämt schönen Spätsommerabend hier. Und natürlich wegen „Never Gonna Give You Up“. Nicht so sehr wegen der zwei Comeback-Alben „50“ (2016) und „Beautiful Life“ (2018), denn da war man ja schon alt, als sie rauskamen. Also wird er ein paar Überraschungen einbauen, und es ist ein Vergnügen der ganz eigenen Art, hin und wieder links und rechts neben sich zu schauen und so manchen Kiefer nach unten klappen zu sehen.
Der Moment, in dem sich Astley einen Pappkarton über den Kopf stülpt
Eröffnet wird die Show mit dem Titelstück seiner „Beautiful Life“-Tour, gefolgt von „This Old House“ vom Album „50“. Da klingt der ewige Schwiegersohn ziemlich sexy, wenn auch leider all die Tom-Jones-Nuancen und Elton-John-Anklänge im viel zu lauten, undifferenzierten Sound nur zu erahnen sind. Wie ja überhaupt der Kontrast immer wieder verblüffend ist zwischen dem braven Äußeren eines Jungen aus einem nordenglischen Kaff und der an Tiefe noch reicher gewordenen Soul-Stimme des einstigen Chorknaben. Schon in der dritten Nummer reißt es die Fans aus den Logen-Sitzen (im Parkett wird sowieso getanzt): „Together Forever“. Eine Frau neben mir flippt aus. Doch kaum ist der altbekannte Hit vorbei, fällt sie wieder in ihren Whatsapp-Checkmodus, soll der da vorne doch singen, was er will. Astley weiß sowas genau.
Nach anderthalb fluffigen, kuscheligen, stampfigen und mit neckischen Scherzen angereicherten Stunden füllt die verschärfte Hoffnung auf „Never Gonna Give You Up“ spürbar den Raum bis hinauf zum Kronleuchter. Doch dann das: Rick Astley, der sich zunehmend auch als passabler Stimmenimitator erweist, kündigt als Zugabe einen „Bastard aus Kleinkunst und Rammstein“ an. Dann stülpt er sich einen Pappkarton mit Augenlöchern über den Kopf, hinter ihm steht ein Mitarbeiter mit Rauschebart und Irrenarztkittel mit einem Bein im Blecheimer. Das Projekt heißt „Kunsthaus“, und der fies geknurrte Refrain geht so: „Farrrrbe ist meine Welt“. Die Gesichter im Publikum entfärben sich. Es war ja schon seltsam genug, als er vorhin auf einer Akustikgitarre die Zeile „Everybody has an asshole“ anstimmte, um, ja was eigentlich damit zu sagen? Aber geschieht das hier jetzt wirklich? Begeisterung und Ratlosigkeit halten sich im Publikum die Waage.
Dann wird Astley sehr ernst. Dies sei das erste Konzert, sagt er, in dem besagter Song nicht gespielt werde. Man glaubt ihm. Kein bedauerndes „Ooooh“ ertönt aus dem Publikum, sondern es setzt erboste Buhrufe. Und Astley, diabolisch: „War nur ein Scherz.“
Der Mega-Hit als souverän durchgeknalltes Stück
Vielleicht ist er auch deshalb ein Überlebender der Achtziger, weil er mit Erwartungen auch schon mal auf die brutale Art zu spielen versteht und sich damit sein frühes Künstler-Ich, gegen das er trotz dazugewonnener Reife offensichtlich nichts einzuwenden hat, zurückerobert. „Keep Singing“ heißt sein Selbstbekenntnis vom Album „50“. Er singt von Gott, den Engeln und dem Teufel, wie in dem wirklich „happy“ machenden „Dance“. Und erklärt: „Ich hänge keiner Religion an, nur das hier ist meine Religion“, er deutet auf die Bühne, seine Band, die unsichtbaren Klänge.
Und wenn seine Musik seine Religion ist, dann ist es vor allem er selbst, der damit dadaistischen Schabernack treiben darf. Also gibt’s doch noch „Never Gonna Give You Up“, und zwar in einer souverän durchgeknallten Version, die wie ein kleines Theaterstück funktioniert. Erst singen nur er und sein Publikum, komplett ohne Instrumente. Pures Miteinander, aus dem heraus er den Song kurz erblühen lässt wie eh und je. Doch dann überführt er ihn in eine Variation, die alles verbindet: die Bekräftigung des Alten und seine Demontage, den Moment des Abends und die Staubpartikel aus der Pop-Ewigkeit.
Da bleiben eine zeitlang nur die drei markanten Akkorde „Give - You - Up“ als angejazzte Dauerschleife, darüber improvisieren Astley und seine kraftvollen Background-Sängerinnen Scherze in Liedform wie den, dass sein Keyboarder nebenbei angeblich „50 Shades Of Grey“ auf dem Smartphone liest; oder ein paar Takte von Songs aus der Zeit, als Astleys Karriere erst einmal vorbei war, wie der Neunziger-Hit „I Like To Move It“ von Reel 2 Real. Immer noch im Groove von „Never Gonna Give You Up“, singt „Ricky“ schließlich eine Abmachung mit Berlin: „If we come again, you come again!“ Doch am Ende findet der arg malträtierte Song wieder ganz frisch zu seiner bewährten, offenbar unkaputtbaren Form. Ungläubiges Staunen in den Gesichtern: Man hat bekommen, was man wollte, und doch hätte nichts seltsamer sein können.