„Wenn das Publikum schweißgebadet aus dem Theater geht, dann ist der Abend gelungen“, sagt Isabel Ostermann und nennt es die wichtigen kathartischen Momente. Etwas später sagt sie, dass „es zu viele tote, einstudierte Opernabende gibt“. Und es ist klar, die Regisseurin will sich von der Massenware distanzieren. Die 39-Jährige ist künstlerische Leiterin der Werkstatt im Schiller Theater, zugleich ist sie die persönliche Referentin des Staatsopern-Intendanten Jürgen Flimm. Dieser Tage zeigt Isabel Ostermann ihre neue Produktion, in der sie Leoš Janáčeks „Tagebuch eines Verschollenen“ mit Francis Poulencs Einakter „La voix humaine“ verschränkt. „Provozieren will ich gar nicht“, betont die Regisseurin. Auch wenn da etwas zusammenkommt, was gar nicht zusammengehört.
Dabei sind die Werkstattbühnen überall an den großen Häusern die kleinen subversiven Fluchtorte. An der Staatsoper ist es nicht anders. Während abends das gut gekleidete, reifere Opernpublikum ins Schiller Theater strebt, sind linker Hand am Eingang zur Werkstatt immer junge Menschen zu sehen, die ein Glas in der Hand halten, rauchen und diskutieren. „Es sind andere Leute als im Haupthaus“, sagt die Leiterin. „Es kommen viele Studenten von den Hochschulen, es sind oft junge Komponisten mit dabei. Es sind jedenfalls weniger die ,Aida’-Liebhaber.“
Jürgen Flimm ist ihr Ziehvater
Ostermanns Ziehvater, Staatsopernchef Flimm, hat selbst eine geheime Leidenschaft für die Werkstatt und schräge Projekte. Als Regisseur hat er dort einen Satie-Abend mit Jan Josef Liefers inszeniert, der hatte ganz schnell Kultstatus. Für Isabell Ostermann ist „die Werkstattbühne eine Art Miniaturbühne, wo ich auch die Prozesse der Leitung üben kann“. Ihre Doppelfunktion als Leiterin und Referentin sei eine bewusst gewählte Kombination von Jürgen Flimm. „Er beobachtet das Ganze aufmerksam.“
Mitten in unserem Gespräch kommt plötzlich jemand in den Raum und will etwas aufräumen. Bitte später, sagt sie. Der Tonfall wird plötzlich resoluter. Es ist genau die richtige Balance, dass der Angesprochene sich nicht mehr traut nachzufragen, sich aber auch nicht brüskiert fühlt. Dabei sieht sie selbst Autorität mit gemischten Gefühlen. „Es ist ja in vielen Sängern noch verankert, dass der Regisseur fast ein Tyrann sein muss. Am Theater werden Hierarchien eingefordert. Aber letztlich muss der Sänger mitdenken, in seinen Händen liegt der Abend, der Regisseur allein kann nichts machen.“ An der Werkstattbühne lobt sie genau das familiäre Miteinander. Drei technische Mitarbeiter gehören fest zum Team. „Ob Solist oder Garderobiere – alle sind dicht beieinander“, sagt sie.
Isabel Ostermann stammt aus Braunschweig. Sie wuchs quasi im Braunschweiger Jugendchor auf, der auch das Theater mit jungen Sängern belieferte. Mit zwölf Jahren sang sie in Bizets „Carmen“ mit. „Eigentlich wird man auf der Hinterbühne für den Theaterbetrieb entzündet“, sagt sie, „weil man dort alles mitbekommt.“ An der Berliner Musikhochschule „Hanns Eisler“ studierte sie Opernregie. Das war Mitte der 90er-Jahre, als es noch heftige ästhetische Grabenkämpfe zwischen Ost und West gab. „Es war die Zeit, wo man sich an der Hochschule noch positionieren musste. Da haben sich die Studenten gegenseitig unter Druck gesetzt“, erinnert sie sich: „Jeder musste sich entscheiden: Ruth Berghaus und Peter Konwitschny oder Harry Kupfer. Und schon gar nicht bei den Westlern. Wer bei Andreas Homoki ein Praktikum gemacht hatte, wurde gemobbt. Heute kann ich darüber lachen.“
Sie hat bei Homoki, aber auch bei Kupfer, Schlingensief, Marthaler oder Berghaus assistiert. Als Idol aber bezeichnet sie Peter Konwitschny, der damals gerade Regisseur des Jahres mit seinem „Parsifal“ in München wurde. Als er seine „Bohème“ nach Graz übertrug, begleitete sie ihn. Von ihm hat sie viel gelernt, vor allem aber etwas, was erfolgreiche Regisseure können müssen: „Entscheidungen treffen.“ Denn es gäbe Momente in Inszenierungen, „in denen die Bühne abgefackelt wird, aber es muss auch Momente geben, in denen das Publikum durchatmen kann“. Bei Regisseuren gehe es darum, die Leute psychologisch zu motivieren. Wobei sie bei den Großen auch erlebt hat, wie sie ihre Darsteller beleidigt und erniedrigt haben, damit die sich dann schutzlos fühlen und ihre Rolle im Stück anders ausleben können.
Als das Magazin verkabelt wurde
Seit 2001 ist Isabel Ostermann selbst als Regisseurin in Berlin, Dortmund, Erfurt, München und Regensburg unterwegs. Für ihre „Don Giovanni“-Inszenierung erhielt sie 2003 den Förderpreis der Deutschen Bank und 2002 die „tz“-Rose für „Le nozze di Figaro“. Im November 2006 wurde sie an die Staatsoper Unter den Linden verpflichtet. Im dortigen Magazin war sie zugange. Das war aber immer noch das Kulissenlager. „Für jede Produktion musste der riesige Raum neu verkabelt werden“, sagt sie. Seit 2010 leitet sie die Werkstatt in der Ausweichspielstätte in Charlottenburg. Wenn das Opernhaus irgendwann wieder ins Stammhaus nach Mitte zurückzieht, wird eine Probebühne zur Werkstatt. Ins alte Magazin zieht die neue Nahost-Akademie von Stardirigent Daniel Barenboim ein.
Zweifellos gehört Isabel Ostermann zu den Regisseurinnen für die harten Stoffe. Sie erklärt es damit, dass sie zu den Menschen gehöre, die sich zur Angstbewältigung lieber „mit den Problemen konfrontieren, als alles zu verdrängen“. Und als Konwitschny-Schülerin sagt sie mit Blick auf ihre aktuelle Produktion solche Sätze wie: „Man kann den Menschen in seiner Psychose nicht trennen von dem, was draußen passiert.“ Draußen vor der Tür werden die jungen Menschen wieder rauchend und trinkend darüber diskutieren.
Staatsoper im Schiller Theater – Werkstatt. Tel. 20354555. „Tagebuch eines Verschollenen/La Voix humaine“: Termine: 8., 12., 14., 22., 23.11.