Theater-Kritik

Ähnelt die SPD nicht ein wenig Cindy & Bert?

| Lesedauer: 3 Minuten
Oliver Kranz

Genossen und Manipulateure im Deutschen Theater

Die Regisseure Tom Kühnel und Jürgen Kuttner nehmen sich in ihrer neuen Inszenierung am Deutschen Theater die SPD vor. Die Vorlage bietet ein Stück aus dem Jahr 1916. Carl Sternheim schrieb „Tabula rasa“, um Besitzstandsdenken bei Arbeitervertretern zu karikieren. Es geht um zwei Funktionäre, die fürstliche Gehälter beziehen und Angst haben, dass das nach einer internen Revision bekannt wird. Ein Arbeitskampf muss her, um von der Sache abzulenken. Als der eigens aus der Hauptstadt herbeibeorderte Agitator, aber wirklich einen Umsturz fordert, wird den Herren erst recht mulmig. Schließlich haben sie für ihre Altersvorsorge Aktien gekauft.

Bei Sternheim spielt das Stück in einem Wohnzimmer, bei Kühnel und Kuttner an einem mondänen Swimming Pool. Funktionär Ständer (Felix Goeser) schwimmt ein paar Bahnen, bevor er mit seiner Hausangestellten über eine Gehaltserhöhung verhandelt. „Ich bin Arbeiter wie du“, heuchelt er und weist die Forderung ab. Schon in der ersten Szene wird klar, dass er ein ziemlicher Widerling ist. Er intrigiert und manipuliert und wird trotzdem immer wieder vom Geschehen überrollt. Bei Sternheim baut genau darauf die Komik auf. Doch Kühnel und Kuttner wollen natürlich mehr. Sie haben einen Schauspieler ins Publikum gesetzt, der laut dazwischenruft. „Was bedeutet es heute, links zu sein?“ und „Sehen Sie sich als Linke?“ – Fragen, die sich die Figuren im Stück nie stellen würden.

Kühnel und Kuttner wollen Zeitgeschichte betrachten. Das wird endgültig klar, als Kuttner selbst auf die Bühne kommt. Er hält einen Vortrag über „Sozialdemokratizität“, ganz im Stil der Videoschnipselabende, die er sonst in der Volksbühne präsentiert. Gut zehn Minuten lang versucht er zu beweisen, dass die SPD keine Prinzipien hat. Er zitiert die Position der Partei vor und während des Ersten Weltkriegs, das Godesberger Programm und die Agenda 2010 – alles aus dem Zusammenhang gerissen und bunt verquirlt, bis es zur These passt, dass die SPD dem Schlagerduo Cindy & Bert ähnele, das mal einen Song von Black Sabbath gecovert hat. Die Partei habe, so Kuttner, eine Sehnsucht danach, stark zu sein, sei es aber nicht.

Kuttner spricht frei, verheddert sich und fängt sich wieder. Er redet sich um Kopf und Kragen, weil er wirklich etwas will. Und dieses Wollen ist den anderen Akteuren kaum anzumerken. Sie verwalten ihre Rollen eher, als dass sie sie gestalten würden. Selbst über den komischsten Szenen liegt eine gewisse Müdigkeit. Und so kann der Funke nicht überspringen. „Gruppentanz und Klassenkampf“ will vieles, bleibt aber eine Inszenierung auf Sparflamme.

Tabula Rasa: Gruppentanz und Klassenkampf im Deutschen Theater, nächste Aufführungen: 12., 20., 25. September