Ausstellung

"Alt, dick, formlos, wie ein missglückter Pudding"

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Lucy Fricke

Wenn Künstler von etablierten Institutionen abgelehnt werden, ist es das Beste, sie rotten sich zusammen und gründen ein eigenes Forum. Das ist stolz, unabhängig und medienwirksam. So war es auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts schon. Als die Berliner Secession 1910 unter Vorsitz von Max Liebermann zahlreiche expressionistische Werke ablehnte, gründete sich, angeführt von Georg Tappert, die Neue Secession. Die jungen Künstler wollten sich absondern von den Akademien und dem herrschenden Kunstbetrieb.

Zu der Zeit wurde in einer Geschwindigkeit und Dichte gespalten und neu gegründet, dass es nicht leicht ist, den Überblick zu behalten. Es gab die Wiener Secession und die Künstlervereinigung München, Brücke und Blauer Reiter. Manchmal waren Juryentscheidungen ausschlaggebend für solche Abspaltungen, mal waren es künstlerische, mal persönliche Gründe und natürlich gibt es da in Wahrheit gar keinen Unterschied.

Dass Max Liebermann in seiner Eröffnungsrede zur Ausstellung der Berliner Secession 1910 sagte: "Wir kommen wohl nur selten in die Lage uns zu täuschen, weil ja die Genies bekanntlich dünn gesät sind.", dürfte bei den Geschassten zusätzliche Energien freigesetzt werden. Für dumm gehalten zu werden, ist nicht selten der beste Motor für Höchstleistungen. Innerhalb kürzester Zeit wurde die erste von insgesamt sieben Ausstellungen der Neuen Secession organisiert. Vertreten waren Künstler wie Wassily Kandinsky, Franz Marc, Gabriele Münter und Emil Nolde, aber auch sehr junge, noch gänzlich unbekannte wie Hermann Stenner, Moris Melzer und Wilhelm Morkner.

Die erste Schau trug den offensiven Titel "Kunstausstellung Zurückgewiesener der Secession Berlin", wurde von konservativen Kritikern mächtig verrissen und trotzdem, oder gerade deswegen, um gute zwei Monate verlängert. Für zusätzliche Werbung mag das Verhalten eines Vaters gesorgt haben, der seine 16jährige Tochter, die in der Galerie angestellt war, unsittlichen Bildern ausgesetzt sah und sogleich den Galeristen verklagte. Auch von heftigen Besucherreaktionen wurde in der Presse berichtet, da wurden Rahmen angekritzelt, Bilder mit dem Nagel durchstochen oder Gemälde angespuckt.

Während das Bekritzeln von Rahmen noch ab und an vorkam, so darf das Anspucken von Bildern als Ausdruck äußerster Empörung verstanden werden. Die Empörung ist längst einer Faszination gewichen und einige der damaligen Kommentare sind aus heutiger Sinn unverständlich. So wurde das Porträt "Die Jungfer von Wellbrock" von Georg Tappert, gemalt im Stil des 19.Jahrhundert und das keines der klassischen expressionistischen Merkmale aufweist, angegriffen, weil die dargestellte Frau hässlich sei. Der Kritiker des Breslauer General-Anzeigers schrieb: "In der Neuen Secession habe ich die hässlichste Frau gesehen, die mir in meinem Leben begegnet; und weiß der Himmel, Reisen im Orient haben mich nicht verwöhnt. Alt, dick, formlos, wie ein missglückter Pudding, sitzt sie da, in Lebensdicke und mit blaurot angetrunkenem Gesicht, in gelber Joppe, die gichtigen krebsroten Hände steif auf einen grünen Rock gelegt. Vor sich auf einem Kaschemmentisch zwei Gläser, die von ihrer Vorliebe für Mischungen erzählen. Eine Jungfer heißt sie im Katalog - ich zweifle nicht an dieser Tatsache." Schön und real sollte Kunst sein, ansonsten galt sie nicht als gut oder schlimmer noch: Nicht als Kunst.

Auch wenn sich die Expressionisten neben Landschaften, Aktbildern und Stillleben verstärkt mit dem Großstadtleben, dem Variete und dem Zirkus beschäftigten, so war es damals doch mehr die Malweise, als die Motive, die Anstoß erregten. Neu waren flächige Bilder und kräftige Farben, Farben, die nicht die Natur wiedergaben. Wie vielfältig der Expressionismus war, zeigt diese Ausstellung.

Kuratorin Anke Daemgen hat vor zehn Jahren über die Neue Secession promoviert und es ist an jeder Ecke spürbar, wie sehr sie ihr Thema immer noch liebt. Dass die Ausstellung der "Zurückgewiesenen" nun ausgerechnet am Ort des ehemaligen Wohnhauses von Max Liebermann gezeigt wird, ist dabei ein schöner Widersinn. Im Erdgeschoss gibt es Skulpturen und Gemälde von Georg Tappert, Cesar Klein und anderen, die zum so genannten harten Kern der Neuen Secession zählten. Es sind aber besonders Werke der weniger bekannten und damals jüngsten Künstler, die faszinieren. Etwa das Bild "Kampf an der Fahne" von Moris Melzer, das in feinen, gemalten Punkten nackte Menschen in einem undurchsichtigen Kampf darstellt und so kraftvoll wirkt, dass es fast schon monumental zu nennen ist. "Der Holzarbeiter" von Wilhelm Morgner hingegen ist aus kleinen, hellen Quadraten gemalt und hier verbindet sich der Fleiß des dargestellten Mannes mit dem Fleiß des Künstlers zu einer in sich gekehrten Ruhe. Im Nebenraum werden Briefwechsel der Expressionisten gezeigt, die besonders schön sind, weil sie sich nicht nur Postkarten schrieben, sondern diese auch malten und diese kleinen Geschenke unter Kollegen zeigen auch die große Freundschaft, die sie verband.

In der ersten Etage hängen neben von Franz Marc und dem Tschechen Bohumil Kubista auch Bilder der Münchener Künstlervereinigung, um die sich die Neue Secession schon früh bemühte, und aus der später Der blaue Reiter hervorging. Das stärkste Bild auf dieser Etage stammt vom heute nahezu vollkommen unbekannten Künstler Hermann Stenner: "Heiliger Sebastian". Ein Mann ist mit beiden Händen an einen Baum festgebunden, in seinem Oberkörper steckt eine Waffe, sein Gesicht sieht glücklich und entspannt aus. Durch die starke Farbigkeit wirkt das Ganze unwirklich, fast traumhaft schön. Neben solchen Entdeckungen zeigt die Ausstellung natürlich Lithografien und Holzschnitte, die als eines der auffälligsten Merkmale des Expressionismus gelten. Doch auch bei diesen Arbeiten wird die Bandbreite deutlich, die eben weit mehr ist als Brücke und Blauer Reiter. All die Strömungen, Facetten, Verwandtschaften innerhalb des Expressionismus zu zeigen, ist der große Verdienst der Präsentation im Liebermann Haus.

Liebermanns Gegner Max Liebermann Haus, Pariser Platz 7, Mitte. bis 03. Juli 2011

Morgenpost-Autorin Lucy Fricke wurde 1974 in Hamburg geboren und lebt heute in Berlin. Sie arbeitete jahrelang bei Fernsehproduktionen mit, schrieb 2007 ihren Erstling "Durst ist schlimmer als Heimweh". Frickes zweites Buch "Ich habe Freunde mitgebracht" erschien im Herbst