Berliner Kritiken

Freiheit oder Familie: "ArabQueen" im Heimathafen Neukölln

| Lesedauer: 2 Minuten
Katrin Pauly

Der rote Schleier, den sie als Zeichen der Fruchtbarkeit trägt, passt nicht zur engen Jeans. Die gekrümmte Haltung nicht zum Glück, das sie als Braut an diesem, ihrem Verlobungsabend, der traditionellen Hennanacht, versprühen müsste. Die anderen Frauen stört das nicht.

Als sei die Verzweiflung der Braut ganz normal. Vermutlich ist sie das auch. Mariam ist eine von vielen. Eines der Mädchen, das sich, wenngleich in Deutschland sozialisiert, doch den Traditionen ihrer Familie beugen muss, das zwangsverheiratet wird und sich irgendwann entscheiden muss: Für die Freiheit oder die Familie.

Güner Balci hat viele solcher Mädchen kennengelernt. Schon einmal hat sie, was sie dort erlebte, aufgeschrieben: "Arabboy" war 2008 ein viel beachtetes Buch, obwohl Thilo Sarrazin damals noch Berliner Finanzsenator war und nicht Deutschlands oberster Integrationsdebatten-Anheizer. Diesen Sommer erschien Balcis zweiter Doku-Roman: "ArabQueen" rückt nach den Jungs, die das Gesetz der Straße leben, jetzt die Mädchen, die die Gesetze der Familie erleiden, ins Zentrum. Wieder ist die Premiere im Neuköllner Heimathafen, erneut unter der Regie von Nicole Oder.

Die hat auch dieses Mal ein glückliches Händchen für den Stoff: Die Geschichte der Schwestern Mariam und Fatme durchspült Nicole Oder im kleinen Studio mit viel Witz und einer unaufgeregten Selbstverständlichkeit. Tanya Erartsin und Sascha Ö. Soydan spielen neben vielen weiteren Rollen vor allem die beiden Schwestern, Inka Löwendorf vor allem deren deutsche Freundin Lena. Zu dritt legen sie mit enormer Verve die Verletzbarkeit, die Verzweiflung, die Hilflosigkeit frei, die hinter den coolen Sprüchen der muslimischen Mädchen gärt. Diese Mädchen sind derb, frech und ungemein liebenswert, sie sind echt, weil es sie wirklich gibt. Viele erleben sie nie, die Freiheit, nach der sie sich sehnen. Sie lassen sich, so wie die Bühnen-Mariam in der ersten Szene, verheiraten und ertragen sie still, die Hennanacht, doch dieses Stück ist nicht nur ein Lehr-, sondern auch ein Mutmach-Stück. Das Schlussbild wiederholt den Anfang. Doch dann steht Mariam auf und geht weg. Einfach so. Sie schlägt die Tür hinter sich zu und weiß, dass diese Tür für sie nie wieder aufgehen wird.

Heimathafen Neukölln , Karl-Marx-Str. 141, Neukölln. Tel. 56 82 13 33. Termine: 14., 19.-21. November, 20.30 Uhr.