Interview mit Bob Geldof

"Jeder echte Ire fängt als Schlachter an"

| Lesedauer: 7 Minuten

Draußen ist es klirrend kalt, aber Bob Geldof sitzt mit bis zum Bauchnabel aufgeknüpftem Hemd in seiner wohltemperierten Suite im Hotel Adlon. Seine Haare sind grau und struppig, er ist 59. Der Zimmerservice liefert Sashimi, eine Flasche Bordeaux steht auf dem Tisch.

Es ist 22 Uhr. 1984 veranstaltete Geldof mit "Live Aid" das größte Benefizkonzert für die Hungernden Afrikas, das die Welt bis dato erlebt hatte. Die Songs "I Don't Like Mondays" (1979) und "Do They Know It's Christmas?" (1983) waren die Welthits des in der Nähe von Dublin geborenen Sänger: exakt zwei Hits in 32 Jahren. Warum nennt er dann sein neues Album "How to Compose Popular Songs that Will Sell"? Mit Geldof sprach Max Dax.

Berliner Morgenpost: Wieso geben Sie zu so später Stunde noch Interviews?

Bob Geldof: Man hat mich heute früh nicht ins Flugzeug gelassen. Ich war rechtzeitig da, bereits eingecheckt und hing in der British Airways Lounge ab, weil ich Inhaber einer Solid Gold Card bin - da wird mir beim Einsteigen mitgeteilt, für mein Ticket sei nicht bezahlt worden. Können Sie sich das vorstellen?

Berliner Morgenpost: Ist das eine besondere Vielfliegerkarte?

Bob Geldof: Es ist die beste. Die haben mich aber durch ganz Heathrow geschickt, weil ich nicht am Gate bezahlen durfte. Und gewartet hat der Flieger auch nicht. Der Ein-Uhr-Flug war ausgebucht, von einem anderen Flughafen konnte ich auch nicht fliegen - ein Albtraum.

Berliner Morgenpost: Wie fühlt sich das an, zur Abwechslung mal behandelt zu werden wie jeder andere Flugreisende auch - und nicht bevorzugt?

Bob Geldof: Ich kann Ihnen sagen, wie ich mich fühlte: Ich werde die verklagen, ich sage denen, dass ich drei enorm wichtige TV-Interviews verpasst habe. Die haben's verkackt, die müssen mich auszahlen.

Berliner Morgenpost: Das lernt man in 40 Jahren Showbusiness?

Bob Geldof: Das lernt man, wenn man die beste Zeit seines Lebens auf Flughäfen vertrödelt. Schlimm, schlimm.

Berliner Morgenpost: Warum fliegen Sie dann?

Bob Geldof: Von London nach Berlin, das ist ein Katzensprung. Schlimm ist es, wenn Sie für einen Auftritt nach Australien fliegen und gleich wieder zurück. Das ist echt hart.

Berliner Morgenpost: Warum hängen Sie in solchen Fällen nicht ein paar Tage dran?

Bob Geldof: Es ging nicht. Es war kurz vor Weihnachten und ich hatte den Gig zugesagt. Ich hatte den Tag über mit Bono rumgehangen, hatte mir am Abend zuvor den Auftritt von U2 angeschaut. Dann breche ich in Sydney zusammen - es war für mich ein sehr arbeitsreiches Jahr - und finde mich im Krankenhaus wieder, mit vier Kathedern im Arm. Und ich denke nur: Was mache ich hier? Ich habe ein Konzert zu spielen. Also habe ich mir die Nadeln aus dem Arm gezogen und den Auftritt gemacht. Nicht zuletzt, weil Bono den ganzen Tag gejammert hatte, dass U2 ihren Auftritt nicht ausverkauft hätten. Statt 200 000 Tickets hatten sie nur 180 000 verkauft. Mein Auftritt hingegen war ausverkauft. Natürlich schickte ich Bono danach eine SMS: "Ich habe Sydney gerockt. Und anders als bei euch gab es kein Ticket mehr."

Berliner Morgenpost: Stimmt es, dass Sie als Schlachter gearbeitet haben, bevor Sie mit Ihrer Band, den Boomtown Rats, Erfolg hatten?

Bob Geldof: Ja, das stimmt. In der Schlachterei. Ich arbeitete allerdings am Ende der Verwertungskette, wo die Würste längst gemacht sind, wo man nur noch die Knochen auskocht, um Seife herzustellen. Van Morrison hat auch als Schlachter gearbeitet. Alle Iren unserer Generationen haben irgendwann in einer Schlachterei gearbeitet. Ich war auch im Straßenbau, habe Bulldozer gelenkt, in der Arktis nach Gold gesucht, in Spanien Englisch gelehrt und als Assistent des Fotografen für das Mayfair-Magazin die Aktstrecken geschossen. Ich machte die Fotos, während der eigentliche Fotograf die Models bumste.

Berliner Morgenpost: Sind das notwendige Schritte auf der Karriereleiter eines angehenden Popstars?

Bob Geldof: Nein, eher die Schattenseite der irischen Wirtschaft. Es gab nur zwei Möglichkeiten Geld zu verdienen: Entweder in der Landwirtschaft oder als Staatsbeamter. Als Beamter hat man eine Pension. Als Landwirt setzt man viele Kinder in die Welt, die einem die Rente ersetzen, und ernährt sich von seinem Land. Das ist in allen armen Ländern so, damals in Irland - heute in Äthiopien. Wo der politische Wille keine Industrie gestattet, bleibt den Menschen nur Ackerbau und Viehzucht.

Berliner Morgenpost: Kommt daher Ihr Engagement für Afrika?

Bob Geldof: Wir Iren sind traumatisiert von der Hungersnot von 1845, bei der die Hälfte der Bevölkerung verreckte. Irland hat sich bis dahin fast nur von Kartoffeln ernährt. Und dann verrotteten die Knollen. Schlimm muss das gewesen sein. Nicht auszuschließen, dass ich durch die Geschichte meiner Landsleute sensibilisiert bin für die Not in Afrika.

Berliner Morgenpost: Sehen Sie sich als Politiker, wenn Sie - wie 2005 - mit den Live-8-Festivals parallel zum G8-Gipfel Einfluss auf die Afrikapolitik zu nehmen versuchen?

Bob Geldof: Ich habe durch meine Reisen nach Afrika im Laufe von drei Jahrzehnten enorm viel Wissen angehäuft. Ich weiß mehr über die Probleme des Kontinents als die meisten Politiker. Ich bin gewissermaßen ein Experte. Und wenn ich als solcher eingeladen werde, um den Ministerpräsidenten zu beraten, dann komme ich. Ich verstehe die Sprache der Politik und die Rede vom politisch Machbaren. Aber mal was ganz anderes: Sie haben mir bislang keine einzige Frage zu meinem neuen Album gestellt.

Berliner Morgenpost: Deswegen: Ich frage mich, wie Sie ein Album "How to Compose Popular Songs that Will Sell" nennen können, wenn Sie gerade mal zwei Hits in Ihrem Leben hatten?

Bob Geldof: Lange Zeit sollte mein neues Album den Titel "58 ½" tragen - das war mein Alter, als ich die Songs im Studio produzierte. Eines Abends besuchte ich einen alten Freund von mir. Auf seinem Klavier lag ein Buch aus den 30ern, von dem es hieß, es sei eine Anleitung für kommerziell erfolgreiche Kompositionen. Der Titel gefiel mir auf Anhieb. Ich habe ihn übernommen. Und zwar völlig offensichtlich: Das Cover meiner Platte ziert eine Fotografie des Buchumschlags.

Berliner Morgenpost: Ist das Selbstironie?

Bob Geldof: Nein.