Theater

Shakespeare im Shoppingcenter

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Peter Hans Göpfert

Was hat uns das Gorki-Theater nicht vorab alles wissen lassen! Etwa dies: "Die Geschichte von Bassiano, Antonio und Shylock legt den Finger auf die Wunden der neuzeitlichen Welt". Und auf welche Wunden legt Shakespeares "Der Kaufmann von Venedig" den Finger?

"Migration und Fremdenhass, globaler Handel, Finanzspekulation und die Konflikte zwischen den Religionen". Nicht genug damit: Der Tragikomödie ist durch den Antisemitismus "weitere Brisanz zugewachsen".

Wenn Armin Petras das Stück jetzt inszeniert, ist von der angekündigten Brisanz und den Wunden herzlich wenig zu spüren. Sein Großeinfall erschöpft sich darin, die beiden männlichen Hauptrollen mit Frauen zu besetzen - und wird gedanklich wie darstellerisch ein Doppel-Fiasko. Das ist umso erstaunlicher, als Petras am Ende darauf verzichtet, die schöne reiche Porzia wie gewohnt in der Gerichtsszene ihre Advokatenrolle in Männerkleidung spielen zu lassen. Cristin König verkörpert den Kaufmann Antonio, der ein Pfund seines eigenen Fleisches gegen 3000 Dukaten verpfändet, als sexuelles Mischwesen mit Männerhut und Lippenbart. Dabei trägt er ein strenges Frauenkostüm und fingert und küsst an Bassiano herum, als wäre er dessen Geliebte.

Regine Zimmermann gibt in Männeranzug und Bowler den Shylock. Von der tragischen und problematischen Ausstrahlung der Rolle, die gleichermaßen Mitleid und Entsetzen verlangt, bleibt hier wenig. Der große berühmte Text, mit dem Shylock für sich gewissermaßen die allgemeinen Menschenrechte einklagt, verpufft hier zu einem gekrähten Monolog. Den Juden wurmt mehr das Finanzgebaren Antonios als die Kränkung der venezianischen Christen-Gesellschaft.

Diese Lagunen-Society präsentiert sich hier als halbseiden kapitalistischer Klüngel in Pelzstolen, Glitzerklamotten und Abendanzügen. Den Hintergrund bildet eine Boutiquen-Fassade mit Mussolini-Appeal und dem Firmennamen "Dolce". Im Zeichen der Krise ist das Geschäft verrammelt. Erst wenn Shylock von dieser Gesellschaft um sein gesamtes Vermögen gebracht ist, macht ein neuer Shopping-Tempel auf. Ach ja, und weil das ganze in Venedig spielt, waten die operettigen Dolce-vita-Leute immer wieder durch einen Canale Piccolo. Die Tochter des Juden, Jessica, wird, bevor sie einen schmierigen Daddy heiraten darf, erst mal kräftig in die Pfütze eingetunkt, Vorwegnahme der Zwangstaufe, die Shylock noch blühen wird.

Armin Petras, der hier einen "Klassiker der Globalisierungsdramatik" zu spielen vorgibt, verjokelt den großen Stoff mit einer trivialen, auch sprachlich nachlässigen Inszenierung. So ist dieser "Kaufmann von Venedig" am Gorki-Theater, so oberflächlich wie leichtfertig, selbst in der Spaßgesellschaft angekommen, die Petras auf dem Rialto entlarven möchte.

Maxim Gorki Theater , Am Festungsgraben, Mitte. Tel. 202 21 115. Termine: 17., 22.11.

"Die Lagunen-Society präsentiert sich hier als halbseiden kapitalistischer Klüngel"