Eine Band-Geschichte der Exzesse
So ausgetüftelt und diszipliniert die Fleetwood-Mac-Alben auch heute noch klingen mögen, ihr Zustandekommen war stets von hysterischem Chaos begleitet - von Drogenexzessen, Intrigen und Extrem-Shopping-Attacken. Schon zu jenen Zeiten, als Fleetwood Mac noch eine britische Bluesband von überschaubarem Bekanntheitsgrad waren, gelang es ihnen binnen kurzer Zeit, drei Gitarristen zu verschleißen: zwei davon (Peter Green und Danny Kirwan) fielen dem Wahnsinn anheim, der dritte (Jeremy Spencer) geriet in die Fänge einer christlichen Sekte.
Als die Band jedoch Anfang der 70er-Jahre nach Kalifornien übersiedelte und das Hippie-Duo Nicks und Buckingham zur Urbesetzung stieß, fingen die Probleme erst richtig an. Das Paar befand sich in einer dramatischen Trennungsphase - was wiederum zu dem anderen Paar der Band passte, den Eheleuten Christine und John McVie. Die beiden hatten sich bereits getrennt und waren nicht fähig, miteinander zu kommunizieren. Da aber Mick Fleetwood angesichts all dieses post-romantischen Durcheinanders nicht außen vor stehen wollte, begann er eine Affäre mit Stevie Nicks, was die Band-interne Stimmung nicht entscheidend hob.
Irgendwie fanden Fleetwood Mac dennoch Zeit, zwischendurch Platten aufzunehmen, wobei sie Botschaften zur Konfliktbewältigung in ihre Songs packten. Das Album "Fleetwood Mac" verhalf ihnen 1975 zum Durchbruch in den USA; der großartige Nachfolger "Rumours" (1977) entwickelte sich mit über 40 Millionen verkaufter Einheiten zu einem der erfolgreichsten Pop-Alben aller Zeiten. Doch statt zur Vernunft zu kommen, nahm die Band den Ruhm zum Anlass, ihre Seifenoper fortan im ganz großen Stil zu leben. Stevie Nicks kaufte sich ein Haus namens Fantasy Land und kokste sich ein centgroßes Loch in die Nasenscheidewand. Christine McVie fand bei Haustieren und Alkohol Trost. Mick Fleetwood investierte rund acht Millionen Pfund in Drogen und Lindsey Buckingham verbarrikadierte sich im Studio. Wenn man zusammen auf Tour ging, führte das stets zu Ausschweifungen unaussprechlichen Ausmaßes.
Davon war in der O2-World natürlich nichts mehr zu spüren, allerdings erinnerte Buckingham in seinen Ansagen wiederholt an die bewegte Zeit: "Wie hier wahrscheinlich alle im Saal wissen, hatten Fleetwood Mac eine emotional oft schwierige Vergangenheit." Es passte also wunderbar, dass die Band auch nur Hits aus dieser Vergangenheit spielte. "Second Hand News", "Go Your Own Way", "Looking Out For Love" - alles Titel über zwischenmenschliche Verwerfungen, die die alte These stützen, dass großes Leid mitunter zu ganz großer Kunst beflügelt. Doch ist das Leid erst mal Geschichte, neigen Künstler mitunter dazu, die ursprüngliche Idee hinter ihrem Werk zu vergessen, so wie Lindsay Buckingham es offenbar passiert sein muss, dessen Lieder für ihn plötzlich nur noch Akkordfolgen sind, die es mit möglichst großer Geste zu präsentieren gilt.
Der Mann hält sich unglücklicherweise für den größten Gitarrengott unter der Sonne, weshalb er jedes Solo mit Faustrecken, Gejohle und Gestampfe unterstreichen muss. "Tusk" wird nicht nur durch unwürdige Bläsersätze aus der Konserve, sondern durch Geheule und Gekeuche von Buckingham zugerichtet, als wäre er der Häuptling der Indianer.
Manche Zuhörer nahmen Reißaus
Deutlich würdiger war das Auftreten von Stevie Nicks, die mit ihren aufgerüschten Brockenhexenkleidern auch modisch Akzente zu setzen wusste. Mit ihrem inzwischen entrückt heiserner Stimme sang sie Hits wie "Rhiannon", "Sara", "Gypsy" und das unendlich rührende Landslide, wobei sie sich ständig Handschuhe an und aus zog - kurze und lange Handschuhe, mit Finger oder ohne und manchmal auch mit langen Lametta-Fransen, die trotz akuter Verflechtungsgefahr keine Knoten mit den Bändern und Strippen bildeten, die an ihrem Mikrofonständer befestigt waren. Bemerkenswert auch ihre Fußbekleidung: Über weite Strecken des Konzerts trug Nicks geschnürte Lederstiefel mit orthopädisch sinnvollen Plateausohlen. Auf ihnen drehte sie sich im Gegenlicht, breitete ihre Wollstola aus, als sei sie eine traurige Feldmaus auf dem Wege zu sich selbst.
Und so verging die Zeit. Erst nach ein, zwei, drei Stunden verließen sie die Bühne unter tosendem Applaus, wobei sensiblere Zuschauer schon vor Ende der Show Reißaus nahmen. Ein völlig überflüssiges und uninspiriertes Solo von Schlagzeuger Mick Fleetwood ist selbst für manch hartnäckigen Fan zuviel. Wobei auch das wieder alle Vorurteile gegenüber der Band bestätigte: Fleetwood Mac waren nie besonders cool, doch für eine längere Phase in den 70er-Jahren einmal die beste Band der Welt.