Am Ende wird viel gelacht vor dem Saal 370 des Moabiter Kriminalgerichts. Kein fröhliches Lachen, eher ein befreiendes. Henrik M. Broder, der Sekunden zuvor frei gesprochen wurde, erzählt lächelnd von seiner Mutter: "Die hat zu mir gesagt: Junge, du bist erziehungsresistent". Das würden "die beiden da drin" - der 59jährige zeigt zum Gerichtssaal - "irgendwann auch noch mitkriegen".
Gemeint sind die Richterin und der für einen Kollegen kurzfristig eingesprungene Oberstaatsanwalt. Beide hatten Broder geraten, sich bei seinen Texten künftig ein wenig zurückzunehmen. Sonst könne der Straftatbestand Beleidigung doch ganz schnell mal erfüllt sein. Beide hatten spüren lassen, daß sie sich mit diesem Verfahren unwohl fühlten. Vermutlich, weil es um Antisemitismus ging. Und weil sowohl der Angeklagte, als auch seine sich beleidigt fühlenden Opfer Melzer und Meyer, wie es der Oberstaatsanwalt beschrieb, "Menschen jüdischer Herkunft sind."
Ausgangspunkt war ein Text, den Broder am 13. Juli vergangenen Jahres um 0.34 Uhr auf seine Homepage stellte. Aufs Korn genommen hatte der für seine bissigen Texte bekannte Journalist einen Auftritt des Verleger Abraham Melzer und des Autoren Hajo Meyer in der Universität Leipzig. Dort hatten sie Meyers Buch "Das Ende des Judentums" vorgestellt. Der KZ-Überlebende Meyer sieht dort unter anderem "die früheste Ursache für den Antisemitismus im Judentum selbst". Und er vergleicht die Situation der Palästinenser mit der der Juden in Deutschland vor 1938. Bei mündlichen Stellungnahmen zu dem Buch, berichtete Broders Verteidiger vor Gericht, hätten Melzer und Meyer diese Polemik sogar noch verstärkt.
Sein Mandant war in Leipzig nicht dabei. Er hatte sich davon berichten lassen. Aber Broders Ärger war offenbar immer noch groß genug, um als Überschrift seiner Internet-Replik folgendes Satzgefüge zu wählen: "Holo mit Hajo - Wie zwei Juden für die Leipziger den Hitler machen".
Vor allem dieser Vergleich mit Hitler, sagte der als Zeuge geladene Melzer, habe ihn "schockiert und verletzt" und letztlich auch Strafanzeige erstatten lassen. Der 61jährige und Broder kennen sich seit 45 Jahren. Aus Jugendfreunden sind erbitterte Feinde geworden. Wie sehr, verrät ein Brief von Melzer, den Broder auf seine Homepage stellte. Darin geißelt der Verleger den einstigen Jugendfreund als drittklassischen Winkeljournalisten, der "sein Leben lang vom Holocaust, vom Antisemitismus und vom Ghetto" lebe. Broder wiederum beschreibt Melzer auf dieser Homepage spöttisch als "den größten Verleger aller Zeiten", der ihm seit 30 Jahre Geld schulde und sich vor anderer Leute Türen erleichtere, um dann zu klingeln und zu fordern, sie sollen den Dreck beseitigen.
Der Oberstaatsanwalt wird von diesem Disput erfahren haben. Es sei "ein dickes Ding", sagte er sichtlich unwillig, "dafür nun auch noch die Staatsanwaltschaft in Anspruch zu nehmen." Er erlebe hier einen Streit, der "erwachsener Menschen unwürdig" sei. Vermehrt wurde sein Ärger vermutlich durch die Tatsache, daß der von einem jungen Kollegen gefertigte Strafbefehl gegen Broder, auf den dieses Verfahren fußte, unvollständig war. Im Januar dieses Jahres hatte eine Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt/M. Broder in gleicher Sache noch einige Verbote erteilt. So durfte er fortan nicht mehr behaupten, Melzer und Meyer seien "Kapazitäten für angewandte Judeophobie" und füllten "Lücken im Antisemitismus mit braunem Dreck". Das, so die Richter, sei "Schmähkritik" und vom Recht auf Meinungsfreiheit nicht gedeckt. Die Überschrift "Holo mit Hajo - Wie zwei Juden für die Leipziger den Hitler machen" hatten die Frankfurt Richter jedoch als "subjektive Bewertung" des Verhaltens von Melzer und Meyer gewertet - und nicht moniert. Aber nur diese Überschrift war Grundlage für das Berliner Strafverfahren.
Nur ein halber Sieg, also. Das war Broder jedoch egal. Er wollte die Feindschaft mit Melzer auch nicht politisch gewertet sehen, sagte er beim Gehen. Melzers Vater, sagte er, habe vor 40 Jahren gesagt: "Nimm dir ein Beispiel an Broder." Das habe Melzer wohl nie verwunden.