Als Mitbegründer des "Regietheaters" gilt Max Reinhardt als Wegbereiter der Theatermoderne. Doch liegt Reinhardts Modernität nicht nur im Ästhetischen, sondern gleichermaßen in seinem Denken als Unternehmer.
Ende des 19. Jahrhunderts, als sich Max Reinhardt dem Ensemble von Otto Brahm am Deutschen Theater (DT) als Charakterdarsteller anschloß, gehorchte der Betrieb eines Theaters weitgehend den Gesetzen der freien Marktwirtschaft. Brahm pachtete das Gebäude vom Eigentümer L'Arronge und mußte alle Kosten über den Kartenverkauf erwirtschaften. Bei der Übernahme des DT am 24. November 1905 bestand Reinhardts Innovation darin, daß er es eben nicht, wie meist üblich, pachtete, sondern kaufte.
Doch wie konnte ein junger Schauspieler von 32 Jahren, der sich zehn Jahre früher nicht einmal die Zugfahrt von Salzburg nach Berlin leisten konnte, in wenigen Wochen den Kaufpreis von 2 450 000 Mark (nach heutigem Geldwert fast 20 Millionen Euro) aufbringen? Der Forscher Heinrich Huesmann erklärt: "Mit dem Namen Reinhardt verbindet die örtliche wie überregionale Finanzwelt bereits 1905 ein investitionssicheres Wirtschaftsunternehmen."
Den Kauf des DT, den Reinhardts Bruder Edmund und sein Dramaturg und Berater Felix Hollaender organisierten, bezeichnete Max Epstein 1918 als Reinhardts "beste geschäftliche Leistung". Denn Reinhardt kaufte nicht nur das DT, sondern den ganzen dazu gehörigen Gebäudekomplex in der Schumannstraße, woraus er bald danach zwei Theater machte, indem er 1906 die Kammerspiele eröffnete. Das Betriebskapital von einer Million Mark wurde durch so genannte Konsortialbeteiligungen aufgebracht.
Der Hauptinvestor und Vertreter der Gläubiger war der Zeitungsverleger August Huck aus Frankfurt/Main, der - neben Rudolf Mosse - eine der mächtigsten Verlegerpersönlichkeiten des Wilhelminischen Deutschlands war. Dadurch entstand eine fragwürdige Allianz zwischen dem Reinhardt-Imperium und der überregionalen Presse. Denn selbstverständlich nahmen alle Zeitungen des Huckschen Konzerns sich der Reinhardtschen Bühnen freundlich an.
Ein weiteres wichtiges Mitglied der Investor-Gruppe war Emil Rathenau, Direktor der AEG. Rathenaus Interesse an Reinhardts Theaterunternehmen war nicht durch reine Lust an der Kunst motiviert, sondern Rathenaus Firma hatte bereits mehrere Patente von Reinhardt und seinen Mitarbeitern für Bühnen- und Beleuchtungstechnik erworben.
Reinhardt darf als erster Star-Regisseur der Theatergeschichte betrachtet werden; sein Name stand für ein bestimmtes hochwertiges Kunstprodukt. Vergleichbar heutigen Filmregisseuren oder Modeschöpfern fungierte der Name Reinhardt als Qualitätssiegel, als Marke, die zu Reklamezwecken eingesetzt wurde. So beschäftigte er mindestens einen, manchmal zwei Mitarbeiter, die nur für Reklame und Pressebeziehungen zuständig waren. In der Anfangsphase war Felix Hollaender für die Medienarbeit zuständig. Seine Methoden ähnelten denjenigen der heutigen PR-Spezialisten. So ließ er beispielsweise den 90jährigen, schwer kranken und kaum gehfähigen Maler Adolph von Menzel publikumswirksam zur Probe von "Minna von Barnhelm" herbeischaffen, um den Journalisten die historische Authentizität der Kostüme und Bühnenbilder zu bezeugen.
Die Werbewirkung des Namens Reinhardt wurde so wichtig, daß sogar Inszenierungen unter seinem Namen herauskamen, an denen er nachweislich nicht mitgewirkt hat. Ferner war bekannt, daß für Schauspieler eine Anstellung zunächst finanziell wenig ertragreich war. Mit Ausnahme einiger Stars zahlte Reinhardt im Vergleich zu seinen Konkurrenten schlecht - ein Engagement am berühmten Deutschen Theater entschädige hinreichend, sei ein Karrieresprungbrett.
Im Berlin der frühen zwanziger Jahre glänzte Max Reinhardt hauptsächlich durch Abwesenheit. Er legte die Direktion des DT nieder, ging nach Salzburg, betrieb mit Hugo von Hofmannsthal die Gründung der dortigen Festspiele und konzentrierte sich auf Auslandstourneen mit seinen Berliner Inszenierungen als Devisenquelle. Ende 1924 kehrte er nach Berlin zurück. Fünf Jahre später verliert Reinhardt mit dem Tod seines Bruders den geschäftlichen Kopf seines Unternehmens: 15 miteinander verschachtelte Gesellschaften, dazu Einkaufs-, Ticket- und Verwertungsgesellschaften für Spielstätten, Schauspieler, Inszenierungen - überdies gekoppelt mit Immobiliengeschäften. Die ökonomische Lage dieses entfesselten Theaterkapitalismus verschärft sich dramatisch durch die Folgen der Weltwirtschaftskrise.
Schließlich kommen die Nazis an die Macht. Der Jude Reinhardt verläßt Deutschland. Um legal in den Besitz des Theaterkonzerns mit den dazugehörigen Immobilien zu gelangen, verabschieden die Nationalsozialisten ein Gesetz, das die Lustbarkeitsteuer rückwirkend geltend macht. Die dadurch entstehenden, bis 1926 zurückreichenden Steuerschulden treiben den Konzern in den Konkurs und alle festen Werte gehen in Staatsbesitz über.
So geht 1933 eine Ära zu Ende.
Der Autor ist Professor für Theaterwissenschaft an der Uni Amsterdam.