Nach Informationen der Berliner Morgenpost ist er umgefallen und war sofort tot. Die Todesumstände sind noch unklar. Hinweise auf ein Fremdverschulden gibt es aber nicht. Eine Obduktion, die für heute angesetzt ist, soll Klärung bringen.
"Zu unserem tiefsten Bedauern und mit schwerem Herzen müssen wir heute die traurige Nachricht bestätigen", verlautete Gierings Berliner Agentur Hübchen gestern. Der Schauspieler hatte bis zuletzt an einer neuen Staffel der Fernsehserie "Der Kriminalist" gearbeitet, in der er den Assistenten von Christian Berkel spielte. Von den geplanten acht Folgen wurden nur sechs abgedreht. Auch Kollege Berkel reagierte gestern tief getroffen auf die Todesnachricht: "Ich habe einen wunderbaren Menschen, einen Freund verloren." Das abrupte Ende eines stillen Stars.
Immer auf Psychopathen geeicht
Vor Frank Giering musste man Angst haben. Er wurde bekannt als einer der zwei bösen Buben, die in Michael Hanekes Film "Funny Games" (1997) Ulrich Mühe und Susanne Lothar erst grausam foltern und dann ermorden. Ein Jahr später spielte er, in "Opernball", einen Neonazi; in "Gran Paradiso" (2000) einen weiteren; im RAF-Drama "Baader" (2002) den Terroristen Andreas Baader. Eine seiner letzten Rollen war der Kinderschänder im WDR-Film "Keine Angst". Immer wieder spielte er Psychopathen und Mörder. Das konnte kaum einer so gut wie er: so verletzlich, so schüchtern sein, mit dieser ewig kindlich-unschuldigen Art - und im nächsten Moment so eiskalt und brutal.
Er hat durchaus auch andere Filme gedreht, in denen niemand zu Tode kam, in denen sogar gelacht wurde. Wie die melancholische Komödie "Absolute Giganten", die 2001 seinen Durchbruch bedeutete. Aber diese Filme wurden weniger wahrgenommen, eingeprägt haben sich die Bösen, Durchgeknallten. Wenn er in einem Krimi mitspielte, wusste man, dass er am Ende der Täter war. Das meinte sogar sein Taxifahrer. Und seine Mutter und Großmutter fragten ihn besorgt: "Mensch Frank, kannst du nicht einmal etwas anderes spielen?" Dass er vor vier Jahren vom Kriminellen zum "Kriminalisten" wechselte, war, vielleicht, auch dem geschuldet.
Aber nicht nur vor, auch um Frank Giering musste man Angst haben. Immer wieder hat er von seinen Selbstzweifeln und Unsicherheiten gesprochen. In seinen wenigen Interviews fielen immer wieder Sätze wie dieser: "Ich war schüchtern, hab nicht viel gesagt, mich nicht an die Mädchen rangetraut. Ich fand mich zu klein, zu dick. Aber als Schauspieler, so dachte ich, könnte ich wohl alle Frauen haben." Und: "Ich hatte eine Sucht, wahrgenommen zu werden. "Die habe ich auch immer noch. Vermutlich ist die noch da, wenn ich zu Grabe getragen werde." Das hat er erst vor vier Monaten gesagt.
Dass er trotz all dieser Komplexe Schauspieler geworden ist, ist kein Widerspruch. Minderwertigkeitsgefühle hinter Masken und Rollenspielen zu verbergen, ist nicht selten in der Branche. Nur hat Giering vielleicht nie gelernt, all seine Ängste, die er in seine Rollen packte, wieder abzubauen, Grenzen zu ziehen. Zwar Jahre will er gebraucht haben, bis er selber "Funny Games" verarbeitet hatte.
Giering, 1971 geboren, wuchs in den Plattenbauten von Magdeburg auf. Als er 18 war, fiel die Mauer. Das Betonwerk, in dem seine Eltern arbeiteten, wurde abgewickelt. Als pummeliges Kind litt er unter dem Spitznamen "Dicker Willi". Seine erste Rolle in einer Schulaufführung war - ein Toter. Seine Tante, die am Theater der Stadt arbeitete, überredete ihn mit 14 zu einer ersten Komparsenrolle. In Bochum besuchte er ein Jahr lang die Schauspielschule, wechselte an die Hochschule für Film und Fernsehen in Babelsberg, brach die Ausbildung aber ab. Beim Theater, das merkte er bald, hatte er Schwierigkeiten, den Raum auszufüllen. Und mit den Unterrichtspraktiken konnte er nichts anfangen. Michael Haneke entdeckte ihn dann fürs Kino. Vor der Kamera fand er seine ideale Bühne, sie konnte ihm nie zu nah sein. Sie war wohl auch ein Schutzwall.
Die Leere hat er weggetrunken
Rund 70 Film- und Fernsehrollen hat er in den 15 Jahren gespielt, die ihm blieben. Nach "Absolute Giganten" wurde er als einer der talentiertesten jungen Schauspieler gefeiert. Das hat ihn womöglich aus der Bahn geworfen. Er griff zur Flasche, wurde alkoholsüchtig. "Ich habe versucht, mir die Leere zwischen den Filmen wegzutrinken", hat er später gestanden. Ende 2001 ging er für ein halbes Jahr in eine Klinik im Harz - zum Entzug.
Auch sonst war er eigen. Bis er 29 Jahre alt war, wohnte er noch bei seiner Mutter in Magdeburg. Er hätte vielleicht noch länger im Hotel Mama gewohnt, wenn die Mutter nicht in eine andere Wohnung umgezogen wäre, in der für ihn kein Platz mehr war. Er ließ dann seine Agentur eine Bleibe für ihn suchen, nahm das erste Angebot an, eine winzige Wohnung am Bahnhof Zoo, die er nur spartanisch einrichtete.
Frank Giering, das pausbäckige Gesicht mit der kleinen Narbe an der linken Augenbraue, war ein Kuriosum: das dämonischste Muttersöhnchen des deutschen Films. Ein Nesthocker, ein Einzelgänger, ein Melancholiker, dessen trauriger Blick nach Mitleid schrie. Und doch einer, dem man alle Abgründe und Traumata nur allzu gern abnahm. Den Privatmann Giering sah man dagegen nicht oft in der Öffentlichkeit. Immer wieder bedauerte er, dass er zu schüchtern sei, um Frauen anzusprechen. Immer wieder sprach er seine Ängste offen an: "Ich finde es besser, zu meinen Schwächen zu stehen." So spricht kein Star. Eher ein Verzweifelter.
Am Ende verfiel er wieder dem Alkohol. Zuletzt sollen Filmfirmen sich geweigert haben, ihn zu besetzen: weil das Produktionsrisiko zu groß sei. Manche spekulieren gar, er könne sich zu Tode getrunken haben. Vielleicht war er auch einfach nur zu dünnhäutig für diese Welt.