Literatur: "Der Krieg und die Frau"

Eine Frau liebt das Schlachtfeld

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Hanns-Georg Rodek

Im "Weißen Band", das gerade als erster deutscher Film seit einem Vierteljahrhundert die Goldene Palme in Cannes gewann, zeichnet der Regisseur Michael Haneke das Bild eines norddeutschen Dorfes in den Jahren 1913/14.

In den letzten Monaten vor Ausbruch des Kriegs geht dort alles seinen patriarchalisch geordneten Gang. Der Weltenzusammenbruch kündigt sich nur leise durch merkwürdige "Unfälle" an. Die Kamera verweilt immer wieder in den Häusern, und in eines der Regale hätte Haneke das Buch "Der Krieg und die Frau" stellen können. 1913 publiziert, stellte es den Durchbruch für eine 24 Jahre junge Schriftstellerin dar; die Novellensammlung sollte es bis zum Kriegsende auf über 100 (!) Auflagen bringen.

Heute kennt man Thea von Harbou als Drehbuchautorin von "Metropolis", als die Frau des Regisseurs Fritz Lang, die sich scheiden ließ, als er vor den Nazis floh, und die Goebbels Propagandafilme schrieb, so den "Herrscher", dargestellt von Emil Jannings und inszeniert von Veit Harlan.

Der Name von Harbou hat heute, mehr als ein halbes Jahrhundert nach ihrem Tod, also immer noch einen Klang; es gibt eine Website (http://thea-von-harbou.blogspot.com), die ständig aktualisiert wird, und Andre Kagelmann hat ihr seine Dissertation gewidmet, die jetzt - unter dem gleichen Titel wie damals Harbous Roman - als Buch erschienen ist. Dies ist keine Biografie (eine Gesamtdarstellung ihres Lebens gibt es weiterhin nicht), sondern Kagelmann beschäftigt sich mit dem Thema "Krieg" im Werk der Schriftstellerin: immerhin neun Romane bis zum Ende des Ersten Weltkriegs, sowie Passagen in anderen Werken bis in die Fünfziger.

Das Erstaunliche an "Der Krieg und die Frau" ist, dass von Harbou darin ein Jahr vor dem Ereignis detailliert beschreibt, was sich im August 1914 ereignen sollte: ein Volk, das in einen Taumel der Kriegsbegeisterung steigert und Zweifler hinwegschwemmt. Die Verwandlung einer Pazifistin beschreibt von Harbou so: "Wie sie auf die Straße in die Stadt hineingekommen war, das wusste Brigitte nicht. Sie fühlte nur, dass ihre ungläubige, zweifelnde Seele danach dürstete, diesem Wunder nahe zu sein - diesem unfasslichen, unsagbar schönen Wunder opferfreudiger Begeisterung."

Darin finden sich viele der typisch Harbouschen Elemente: der deutsche Patriotismus, die Volksgemeinschaft, die opferbereite Frau. Außerdem glaubte sie fest an die Überlegenheit deutscher Kultur und reklamierte wie selbstverständlich für Deutschland Kolonien. Das mag aus heutiger Sicht indiskutabel sein, aber einer der Verdienste von Kagelmanns Buch besteht darin, uns begreiflich zu machen, dass dies damals politischer Mainstream war.

Von Harbou selbst war ein lebender Widerspruch. Die Rassistin lebte im Dritten Reich offen mit einem Dunkelhäutigen zusammen (ein Inder, denen die Nazis das Ariertum zugestanden). Sie verdiente Hunderttausende und meldete sich doch freiwillig zum harten Dienst in der Munitionsfabrik. Und in ihrem letzten Roman "Gartenstraße 64", erschienen 1952, kommen der Kriegsbegeisterten endlich Zweifel: "Seit Tausenden von Jahren predigt man uns, dass es süß und ehrenvoll sei, fürs Vaterland zu sterben. Und jetzt? Jetzt wissen wir nicht, waren wir nun Helden? Oder Dummköpfe? Oder Verbrecher?"

Andre Kagelmann: Der Krieg und die Frau. Thea von Harbous Erzählwerk zum Ersten Weltkrieg. Media Net, Kassel. 361 Seiten, 29,90 Euro