Ausstellung

Die moralischen Grenzen der großen Autoren

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Tilman Krause

Karl Korn kniff. Der für das Feuilleton zuständige Mitherausgeber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" schickte einen anderen ins Feuer. Es galt, dem berühmtesten deutschen Dichter zum 75. Geburtstag zu gratulieren.

Undankbare Aufgabe für ein bürgerliches Blatt! Denn Thomas Mann, Gegenstand der ersten großen literarischen Debatte der Nachkriegszeit, war seinerzeit noch alles andere als wohlgelitten. Das Ressentiment der "Ofenhocker", wie der Verfasser der "Buddenbrooks" die Kollegen von der "Inneren Emigration" nannte, saß ohnehin tief gegenüber allen, die Deutschland nach 1933 verlassen hatten, verlassen mussten. Im Fall von Thomas Mann konnte es sogar in lodernden Hass umschlagen, hatte doch der Dichter von Kalifornien aus zu wissen kundgetan, allen Büchern, die zwischen 1933 und 1945 in Deutschland erschienen waren, hafte ein "Geruch von Blut und Schande" an; sie gehörten "eingestampft".

In geschickter Ausbalancierung von Personen, Themen, Institutionen dokumentiert jetzt die vom Berliner Literaturkritiker Helmut Böttiger kuratierte Schau, die am Wochenende im Literaturhaus Berlin eröffnet worden ist, die Jahre zwischen 1945 und 1955.

Böttiger und sein Team haben sich bei Gottfried Benn bedient, dessen kometenhafter Wiederaufstieg nach 1945 einen eigenen Schwerpunkt darstellt, und sich für den Titel "Doppelleben" entschieden. Das bezieht sich auf Benns Rechtfertigungs-Autobiografie, derzufolge der deutsche Geistesmensch unter der Diktatur in zwei Reichen gelebt hatte: in der real-abscheulichen politischen Welt sowie in jener Welt des Geistes, die über alle Anfechtungen erhaben machte.

Die Vorstellung von einem solchen enthobenen Reich des Geistes, auch das zeigt die Ausstellung, herrschte in Nachkriegsdeutschland über alle politischen Gräben hinweg. In Ost wie West. Für diese Auffassung hat seinerzeit Karl Jaspers die Formel gefunden: "Geistig aber ist auf dem Gebiet des politisch unglücklichen Deutschland trotz allem das Herrlichste erwachsen. Daran dürfen wir uns halten."

Und daran hielten sich auch alle. Im Osten die Johannes R. Bechers, im Westen Leute, deren Namen fast durch die Bank vergessen sind und sie sich vor allem im Umfeld der Akademien ansiedelten. Ja, in wesentlichen Teilen ist diese Ausstellung mit der Aufarbeitung vor allem der Deutschen Akademie für Dichtung in Darmstadt beschäftigt, weil sie einen neuen Typ von Literaturfunktionär hervorbrachte.

Spannende Einblicke erhält man in die Arbeitsbiografien dreier Strippenzieher, die vor dem Siegeszug der Gruppe 47 ihre Stunde hatten. Es sind dies Frank Thiess, Kasimir Edschmid und Hermann Kasack. Es ist eine Ausstellung, die wie nur wenige zum Thema Literatur benutzerfreundlich wirkt durch ihre Bespielung von Stellwänden, will sagen: Exponate auf Augenhöhe und möglichst wenig "Bückware". Auf Folien gedruckte Brief-Kopien gesellen sich hier zu kostbaren Originalen, wie etwa den Tagebüchern von Thiess und Kasack oder der Goethe-Preis-Urkunde in schönster Neorenaissance für Thomas Mann. Eine Fülle von Film- und Ton-Dokumenten sorgt zusätzlich für Lebendigkeit.

Literaturhaus Berlin , Fasanenstr. 23, Charlottenburg. Tel. 887 28 60 Bis 12. Juli