Konzert

Wo Pop und Klassik Walzer tanzen

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Peter E. Müller

Irgendwann hat sich im Popgeschäft die Meinung breit gemacht, Rockmusik müsse sich unbedingt mit großen Sinfonieorchestern einlassen, um endlich ernst genommen zu werden. Um endlich die Grenzen zwischen E- und U-Musik niederzureißen.

Beim sogenannten Symphonic Rock der 60er- und 70er-Jahre ließen sich Gruppen wie Deep Purple oder Ekseption, Emerson, Lake & Palmer oder das Electric Light Orchestra mit der Klassik ein, traditionelle Klangkörper wie das London Symphony Orchestra oder die Wiener Symphoniker wiederum begannen, Rocksongs einzuspielen. Zu einer wirklichen Symbiose kam es selten. Die kuriosesten Liaisons zeitigten zuletzt Hardrock-Musiker von Metallica bis Rammstein.

Seit 14 Jahren in Deutschland unterwegs

Mitte der 80er-Jahre heckten zwei belgische Studenten das Konzert-Konzept "Pop meets Classic" aus, bei dem sich Popmusiker und ein großes Orchester zu einer Art buntem Abend trafen. John Miles war damals dabei, der Mundharmonika-Grande Toots Thilemans und Flötist Thijs van Leer von Focus. Seit mittlerweile 14 Jahren tourt das erfolgreiche Unternehmen nun als "Nokia Night Of The Proms", inspiriert vom Abschlusskonzert der Londoner BBC-Promenadenkonzerte, mit wechselnden Bühnengästen durch Deutschland und war mit seiner neuesten Ausgabe - präsentiert von der Berliner Morgenpost - nun erstmals in Berlin zu Gast, in der nahezu ausverkauften O2 World. Es war eine überraschend erfolgreiche Premiere.

Das eventerprobte Symphonieorchester Il Novecento um den belgischen Dirigenten Robert Groslot ist seit Jahren das Herz dieser aufwendigen und üppig illuminierten Show, die für ihren Jahrgang 2008 wieder ganz tief im Archiv des verblassten Ruhms gewühlt hat und einige der größten Namen von einst für dieses extravagante Ereignis zu Tage gefördert hat. Passend zur Jahreszeit eröffnet der stimmstark beseelte Angel in Harlem Gospel Choir den dreistündigen Abend, durch den NDR-Moderator Uwe Bahn als flapsiger Conférencier leitet. Hier lässt es sich trefflich in Erinnerungen schwelgen mit Musikern, die durchaus Fragen aufwerfen wie "Was, die gibt's noch?". Wie 10CC beispielsweise, das britische Quartett aus den 70er-Jahren, das mit Bassist und Sänger Graham Gouldman als einzigem Originalmitglied Auferstehung feiert. Und durchaus vor der Zeit bestehen kann mit solch klassischen Jahrhunderthits wie dem rockigen "Wall Street Shuffle", der geradezu psychedelischen Ballade "I'm Not Alone" oder dem ironischen Reggae "Dreadlock Holiday".

Den 80er-Jahren wiederum wird opulent gehuldigt mit dem Briten-Duo Tears For Fears, das vor flirrenden Bildwänden erneut seinen verschwenderischen Partypop zelebriert mit Ohrwürmern wie "Mad World", "Shout" und "Everybody Wants To Rule The World" und das Publikum vor der Pause endgültig von den Stühlen reißt. Zwischendurch spielt sich das Orchester mal durch Tschaikowskys "Ouvertüre 1812" (ohne echte Kanonenböller) oder Khatchaturians Adagio aus "Spartakus" (samt Ballerina auf den Bildwänden). Pop und Klassik tanzen Walzer. Und natürlich gibt es später, sozusagen als Hommage an die Londoner "Night of the Proms", den Elgar-Kracher "Land of Hope and Glory" samt Text zum Mitsingen auf der Großbildwand. Aber vorher macht sich im zweiten Teil noch der leichtgängige Partysound der Eighties-Blondine Kim Wilde breit, die mit "Cambodia" punkten kann, bei "Kids of America" stimmlich allerdings schwächelt.

Egal, das Wiederhören weckt wohlige Erinnerung in der Halle und die Stimmung findet ihren Höhepunkt beim Auftritt von Robin Gibb von den Bee Gees, der wieder einmal verspricht, dass er nächstes Mal seinen für die hohen Falsetttöne zuständigen Bruder Barry mitbringen wird, sich aber vorerst auf ein versiertes Gesangstrio an seiner Seite verlässt, das ihn bei Klassikern wie "How Deep Is Your Love" oder "Massachusetts" kräftig unterstützt. Und bei "Saturday Night Fever" wird die O2 World endgültig zur Großraum-Disco.

Schmachten bei "Boat On The River"

Dieses straff inszenierte Crossover-Spektakel ist reich an Höhepunkten. Pianist der das Orchester flankierenden Rockband ist beispielsweise Dennis De Young, einst Frontmann der US-Bombastrocker Styx, der im Verlauf des Abends Hits seiner Band wie die heimelige Schmachtballade "Boat on The River" einstreut. Und als großartig erweist sich das Klassik-Comedy-Gespann Igudesman & Joo um den britisch-koreanischen Pianisten Richard Hyung-ki Joo und den russischen Geiger Aleksey Igudesman. Sie ziehen ganz im Geiste von Victor Borge die Klassik liebevoll und hochmusikalisch durch den komödiantischen Kakao und sorgen mit ihren Eskapaden zwischen Mozart, Rachmaninoff und Gloria Gaynor für herzliches Lachen.

Die "Nokia Night of the Proms" hat sich längst zu einem Jahresend-Highlight für die ganze Familie etabliert. Künftig wohl auch in Berlin. Die nächste Show steht bereits fest: am 29. November 2009 gastiert die "Nokia Night Of The Proms" wieder in der O2 Arena. Die Gäste sind noch nicht bekannt, der Vorverkauf hat schon begonnen.