Theater

Das Drama als Lust-Spiel

| Lesedauer: 4 Minuten
Peter Hans Göpfert

Orgasmusschreie dringen aus dem Salon. Es ist die jungfräuliche Königin Elisabeth von England, die sich da zu Westminster vernehmen lässt und ihrer Lust mit dem (sehr freien) Schiller-Zitat "Graf Leicester, dringt nicht länger in mich" ein Ende macht.

Und auch ihre Widersacherin, die gefangene schottische Maria, erleben wir auf Fotheringhay in einem ungewohnten Auftritt: wie beim "Dinner for One" prostet sie mit Schampus auf den "Jahrestag". Wobei rein akustisch nicht deutlich wird, ob dieser "same procedure"-Toast dem ermordeten Gatten oder dem einstigen Liebhaber Leicester gelten soll. Denn Textverständlichkeit ist nicht gerade die Hauptsache in Petra Luisa Meyers Inszenierung von Friedrich Schillers "Maria Stuart" am Hans Otto Theater zu Potsdam.

Von allen Perspektiven, das Drama der beiden Königinnen zu betrachten, interessieren die Regisseurin die politische und religiöse am wenigsten. Schauplatz ist ein drehbares klimatisiertes Hotel- und Bürogehäuse aus Holz, Glas und Aluminium. Aber das äußerliche Update banalisiert die politische Handlung nur. Personalmangel rundum. Auch die französischen Diplomaten sind kurzerhand gestrichen wie Arzt, Amme und Dienerschaft. Draußen rumoren schon mal, wenn der lästige Musiksound ein paar Momente unterdrückt wird, die Helikopter. Und in den Regierungs- und Gefängnisetagen gibt es keine Nichtraucherecken.

Auf emotional abschüssigem Terrain

Frau Elisabeth allerdings verzichtet auf die Zigarette. In diesem Gesellschaftsdrama figuriert Katharina Thalbach im Hosendress als pummelig eifersüchtige Firmenchefin. Die gefönte Lady trägt Stolen aus Hermelin und weniger feinem Nerz, wenn es sein muss auch übereinander. Sie schüttet sich höhnisch aus mit dem allseits ansteckenden Thalbach-Raubtierlachen. Schmeißt auch schon mal die lederne Ruheliege um und greift patent zu Kehrblech und Handfeger, wenn sie wütend ein Glas zerdepperte. In solchen Momenten ist diese unkönigliche Dame ganz bei sich. Sie entspricht jedenfalls nicht dem Ideal "ein gebrechlich Wesen ist das Weib". Der Graf von Shrewsbury spricht es aus. Roland Kuchenbuch, wenn auch in einen Beamten-Anzug gezwängt, ist als Darsteller ein Lichtblick auf diesem emotional abschüssigen Terrain.

Schillers erotische Grundierung wird zum sexuellen Hauptmotiv. Das Objekt der Begierde beider Damen, Graf Leicester, erscheint hier zum schnellen Verständnis gleich in Kunstseidenhemd und weißem Freizeitanzug (Rainer Wöss). Bei der von ihm arrangierten Begegnung der unköniglichen Frauen im "Park" misst Elisabeth ihre eigene geringe Körpergröße neben der hochgewachsenen, jugendlich ungleich attraktiveren Maria. Sie zieht ihr die Kleidung vom Leibe, langt ihr in Höschen und BH. Das Resultat dieser neidischen Fleischbeschau, man ahnt es, wird negativ sein. Die Damen lassen sich zickig gehen.

Der junge Mortimer, der ihr zur Freiheit verhelfen soll, jagt Maria Stuart in seinem Liebesüberschwang schon mal libidinös durch den Zuschauerraum und hätte sie glatt auf einem Bürotisch auch noch vergewaltigt, wäre nicht rechtzeitig sein Oheim dazugekommen. Auch die schließliche Läuterung mag die Regisseurin der Schottin nicht gönnen. Anstelle des heimlich zum Priester geweihten Haushofmeisters nimmt hier der schmierige Leicester der Todgeweihten blasphemisch die Beichte ab.

Hier will keiner den Hass besiegen

Statt der Kommunion teilhaftig zu werden, greift Maria zu einer Zigarette (ohne Feuer). Sie denkt nicht daran, den Hass zu besiegen. Anders als im üblichen Reclam-Heft, unterliegt Maria somit der Konkurrentin auch moralisch. Anne Lebinsky, anfangs eine beherrschte, auch darstellerisch mühelos stärkere Gegenspielerin, die auch schon mal ihr Talent zur schottischen Dudelsack-Kunst unter Beweis stellt, lässt in ihrer letzten Stunde schrillere Töne hören. Katharina Thalbach hat derweil, als vereinsamende Herrscherin der Büroetage, ihr heutiges Outfit gegen ein historisches Elisabeth-Kostüm getauscht. Damit mündet das Drama endgültig in Farce.

Hans Otto Theater , Schiffbauergasse 11, Potsdam, Tel. 0331-98 118. Termine: 23. 11., 15 Uhr; 30. 11., 19 Uhr; 2.12., 19.30 Uhr; 7. 12. , 17 Uhr.

Maria Stuart ++---