Auch ein Sony-Center lässt sich nur einmal eröffnen

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Wilfried Rott

«Bambi» flüchtet, Prominente meiden die «Aids-Gala», das «Jahresausternessen» wird verschoben und Ex-Party-Queen Shawne Borer-Fielding darbt vor den Toren der Stadt. Wer es schon immer wusste, dass es keine rechte hauptstädtische Gesellschaft gibt, könnte sich bestätigt fühlen: Das «roaring Berlin» der vergangenen Jahre scheint nichts als ein aufgeblasener Ballon gewesen zu sein. Jetzt, wo das Geld ausgeht und die aufgeheizte Berliner Luft draußen ist, zeigt sich eine tendenziell proletarische Stadt, die unter dem grauen Schleier des öffentlichen Dienstes Trauer trägt, zu der Ver.di den Marsch bläst.

Im Licht der Anschauung erscheint solche Theorie allerdings ähnlich grau wie die Häupter jener, die sie seit den Tagen ihrer «verspielten Revolution» ostinatohaft vortragen. Die Wirklichkeit ist bunter. Aber sie war vor kurzem noch viel bunter, und dies kann dazu verleiten, sie vorschnell als blass zu bezeichnen. Wie alle Gründerzeiten war auch die der Berliner Republik ein Rausch. Was auf ihn folgt, sind Kater und Jammer, und der hat den Refrain: Ach, wie war es doch vordem? Wohin sind nur die wilden Jahre entschwunden, da ständig etwas los war? Erst wurden die Grundsteine gelegt, dann die Richtfeste gefeiert und schließlich die Eröffnungen festlich begangen. Die locations, die people - alle waren sie so new wie die economy. Heute Start-Up in einem ehemaligen Fabrikgebäude, morgen Get-Together im neuen Büro-Tower. Nur die Wohlhabenheit sprach Französisch, und der Kenner hörte es raunen: nouveau riche, nouveau riche.

Das Problem: Auch ein Sony-Center lässt sich nur einmal eröffnen, das freilich mit Pomp. Wer dachte schon bei den Endlos-Büffets, die sich unter dem gewaltigen Zeltdach schlängelten, daran, dass auch diese einmal ein Ende haben? Wer wollte wahrhaben, dass die vielfältigen Nobel-Garküchen bei der Grundsteinlegung zu Bertelsmanns Hauptstadtrepräsentanz nicht für immer brutzeln?

Auch die Lust an der Freude hektischen Lebens will Ewigkeit, sieht nicht auf die warnenden Zeichen an der Wand. Wo sich etwa die würdevolle Institution des Salons epidemisch ausbreitete, konnte etwas nicht stimmen. Professionelle Salondamen spreizten sich, kassierten Eintritt zu ihren Zusammenkünften. Ein Samtdeckchen da, ein Kerzenleuchter dort und dazwischen einer der vielen Hauptstadtpoeten - fertig war der «literarische Salon». Nicht einmal ein Erfolgsbuch mit dem knappen Titel «Der Salon» bereitete Ernüchterung. Wer sollte sich im Society-Getümmel daran stören, dass damit ein Friseursalon gemeint ist, wo ein Nobel-Coiffeur in der Hauptstadt für den Inbegriff an Prominenz gehalten wird?

Der schöne Schein der Hauptstadt-Gründergesellschaft hat so geblendet, wie ein Frankfurter Unternehmens- und Personalberater geglänzt hat, der Berlin mit seinen «Jahreszeitengesprächen» bezauberte. Vom Valet-Parking bis zur Rednerauswahl stimmte alles. Finanzkundige sprachen über «Investmentbanking - quo vadis?», aber auch über deutsche Unterhaltungsmusik und griffen dazu selbst in die Tasten. Ein Stardirigent erläuterte im Yachtclub-Outfit künstlerisches Wollen, und der US-Botschafter beschwor deutsch-amerikanische Allianzen. Die Gäste drängten sich im herrschaftlichen Firmensitz am Rande von Potsdam, und jeder durfte glauben, dass er Spitze ist, weil der Hausherr nach dem Motto auswählte: Wenn die zweite Garnitur eingeladen wird, kommt die erste nicht. So trafen sich Ministerpräsident, Großunternehmer und Modeschöpfer - und beim winterlichen «Jahreszeitengespräch» prasselte der Kamin, und darüber schwebte ein Adventskranz vom Format eines LKW-Rades.

Es war so schön und wäre weiter so schön gewesen, hätte nicht die New Economy plötzlich so alt ausgesehen. Nun wechseln die Jahreszeiten weiter, aber Gespräche dazu gibt es nicht mehr. Der große Gatsby von Potsdam mit seinen rauschenden Festen ist dahin. Immerhin muss er nicht wie das große Vorbild als Leiche im Swimmingpool treiben, aber seine Gäste kann er auch nicht mehr wie einst in einer Barkasse über die Potsdamer Gewässer gleiten lassen.

Aus der Traum von einer Hauptstadtgesellschaft? Nicht doch. Nur wandelt er sich nach Art von Träumen rasch. «MTV» kommt, und «Universal» ist schon da - und das junge Musikgeschäft trägt nicht die Spendierhose, sondern weiß die Taschen der Cargo-Jeans seiner Klientel zu leeren. Wer zu den Hunderten gehörte, die zur «Universal»-Eröffnungsparty eingeladen waren, der musste schon selbst für Essen und Trinken bezahlen. Die Szene-Clubs florieren - und wirken nur peinlich, wenn Kanzler und Kandidaten sie aufsuchen und vorgeben, ausgerechnet bei ohrenbetäubender Musik das Gespräch mit der jungen Generation zu suchen.

Hauptstädtisch und großstädtisch ist die Berliner Gesellschaft, weil sie sich zu teilen weiß. Da die junge Coolness, dort die glitzernde Eventgesellschaft und dazu das passende Stadtoberhaupt, das sich als «Regierender Partymeister» gutgelaunt zu seiner vorgefertigten Beton-Fliege am Hals bekennt, die von den Selbstbindern der feineren Schichten belächelt wird.

Aber diese wiederum können in der großen Stadt gut für sich sein - und allen Untergangsrufen zum Trotz bürgerliche Beständigkeit demonstrieren, aus der sie auch der gebildetste Professor nicht auf irgendwelche Barrikaden treiben wird. Sie machen keinen Lärm, treffen sich bei gedämpft rauschenden Festen oder privaten Hauskonzerten, nehmen den hauptstädtischen Wandel von Zeit und Mensch als Herausforderung, so dass das «tempora mutantur» spätestens dann zuversichtlich, verheißungsvoll klingt, wenn darauf folgt: «et nos in illis».