100 Jahre ist es her, dass das Kupferstichkabinett die Kollektion des spleenigen Seidenhändlers Adolf von Beckerath erwarb. Eine der feinsten privaten Zeichnungssammlungen der Gründerzeit. 114 Meisterwerke sind nun im Kupferstichmuseum zu sehen.
Er war herrisch, das wussten all. Er duldete keinen anderen Gott neben sich, der große Berliner Museumsvater Wilhelm von Bode. Und schon gar keinen so eigensinnigen Kunstsammler wie Adolf von Beckerath, der nicht nur unabhängig von seinem Rat und seiner Tat sammelte, sondern noch dazu eine große Kennerschaft auf dem Gebiet der Zeichenkunst entwickelte, die Bode Konkurrenz bescherte.
Als gestandener Seidenhändler reiste Beckerath kreuz und quer durch Holland, Flandern und Italien, das er, wie er selbst sagte, «wie sein Haus kenne», wusste vieles über die bedeutenden Provenienzen und konnte so bei Händlern und auf Auktionen die schönsten Blätter ergattern - und Bode dann herrlich eins auswischen. Mit kindischem Stolz schrieb er diesem 1879 aus Florenz: «Eine tiefe Kluft trennt mich von Ihnen, da ich eine Raffael-Zeichnung erworben habe!!!» Bode muss getobt haben.
Über hundert Jahre ist das nun her, und seit 1902 besitzt das Kupferstichmuseum das gesamte Zeichnungs-Ensemble des spleenige Beckerath. Es umfasst viele, viele Mappen: genau 3456 Blätter, darunter 1553 der niederländischen, 1292 der italienischen und 157 der deutschen Schule. Botticelli, Boucher, Dürer, van Dyck, Tizian - kaum zu glauben, was Berlin hier für einen Schatz besitzt, der seinen Dornröschenschlaf im Depot nach 80 Jahren nun vorübergehend für die laufende Ausstellung unterbricht. In Zeiten blockierter Ankaufs- und Ausstellungsetats fragt man sich freilich, warum die Staatlichen Museen nicht eigentlich öfters ihre Keller öffnen, um Teile ihrer hervorragenden Sammlungen zu präsentieren.
In unserer computergenerierten Welt ist es eine besondere Seherfahrung, sich einmal wieder der Kunst der feinen Linienführung zu öffnen. Es gibt in der gut arrangierten Schau wunderbare Blätter zu entdecken. Je länger man vor ihnen verweilt, um so stärker entfaltet sich ihr Eigenleben. Brillant ist Filippo Lippis «Männerakt» auf rosa Papier, aus heutiger Sicht ein moderner «work in progress». Skizzenhaft, spontan im Strich, von leichtem Licht durchdrungen, was die beiden Akte ungeheuer dynamisiert. Es scheint, als bewegten sich die beiden Figuren aus dem schwebendem Papier heraus langsam auf den Betrachter zu. Bodes Konkurrenzgefühl kam also nicht unberechtigt: Beckerath war wirklich ein weiser Sammler.
Kupferstichkabinett. Kulturforum am Potsdamer Platz. Bis 23. März. Di-Fr 10-18 Uhr, Sa/So 11-18 Uhr. Katalog: 36 Euro.