Höschen im Internet

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Michael Pilz

Deutsch-Pop made in Berlin verkauft sich in London, Tokyo und New York erstaunlich gut. Schließlich wird der Mythos einer aufregenden Metropole seit zehn Jahren gehegt und gepflegt. Und er zieht Künstler aus anderen Ländern an, die den Berlinsound weiterentwickeln.

Musikbüros gibt es viele. Vor allem in Berlin. Ein besonders wichtiges sitzt jedoch ausgerechnet in dem kleinen Ort Hennef bei Bonn. Hier arbeiten Exportstrategen. Sie verkaufen Hits, made in Germany - und suchen dabei täglich nach Antworten auf die immergleiche Frage: Wie betrachtet uns die Welt?

Laut der so genannten Deutschen Auslandshitparade mag die Welt vor allem wuchtigen Teutonenrock von Rammstein, aber auch Deutschpunk von den Toten Hosen und die süßen Technolieder von Blümchen. Woher die Exportstrategen das so genau wissen? Ganz einfach: In Hennef werden Eckdaten aus London, Tokyo und New York durch Umfragen ermittelt. Die Ergebnisse dieser Erhebungen verraten, wovon in stilbewussten Soziotopen gerade die Rede ist. Diese Soziotope sind eine dem Neuen ständig aufgeschlossene urbane Masse, bei der die Euros, Dollar, Pfund und Yen für Platten locker ziemlich sitzen. Überall, wo man mit diesen Währungen zahlt, wird heute einiges von Künstlern wie Peaches und Gonzales, Mia, Maximilian Hecker oder Laub gekauft. Und nicht zuletzt auch von Neuberliner Musikern und hippen Bands, die den im Ausland seit zehn Jahren gut gehegten Mythos einer aufregenden Metropole mit geheimnisvollem Glamour unterfüttern. Einem abenteuerlichen Glanz, von dem in Kleinstädten wie Hennef, rechts des Rheins, nicht viel zu spüren ist. Jedenfalls nicht im Alltag.

Denn was soll der Deutsche auch von Peaches halten, einer zugewanderten Kanadierin, die uns im Videoclip auf äußerst laszive, ja gar liederliche Art entgegentritt? Sie rappt in einer Toilette «Set It Off» - und zeigt sich nicht nur in den Achselhöhlen unrasiert. Sex sells - nicht nur in der Werbung, sondern auch als musikalischer Porno-Trash. Peaches' Höschen läßt sich passenderweise dann auch gleich im Internet erwerben.

Ansonsten erfährt man nicht viel über sie: In Toronto hieß sie Merrill Nisker und arbeitete mit schwer erziehbaren Kindern. Dann kam sie irgendwann nach Berlin und nun, mit Mitte 30, ist sie eben Peaches und macht das, was Amerikaner anerkennend «Porn-Hop» nennen. Madonnas Lob ließ folglich auch nicht lange auf sich warten; «Fuck The Pain Away» von Peaches, sprach Madonna, sei ihr liebster Frühsport-Song. Und Peaches selbst kleidet sich in rosa Lack und sagt, das sei einfach schick.

Während Rammstein dem Pop-Normalverbraucher als Gipfel deutschen Provotainments gilt, bietet das Spiel von Peaches tatsächlich mehr Witz, mehr Unterhaltung. Statt «Triumph des Willens» ein Triumph des Überdrehten. Peaches kam als Jüdin nach Berlin, zunächst ein Abenteuer, wie sie sagt. Gonzales, ebenfalls Kanadier und Jude, fügt hinzu, das Woody-Allen-hafte habe in Berlin und in ganz Deutschland offenbar zuletzt gefehlt. «Chilly Gonzales - jüdischer MC in Berlin», wie er sich nennt, bevorzugt die große Geste. Mal erklärt er sich im Saal der Bundespressekonferenz zum Präsidenten des Berliner Undergrounds, mal singt er: «Try living your life as a concept».

Natürlich ist die Neugier in der Welt auf diesen «Berlin Sound» in erster Linie ein Medienphänomen. Lifestylemagazine wie «I.D.» oder «The Face» in London oder das New Yorker «Spin» hatten den Mythos Berlin lange beschworen. Doch in Kürze hatten die Berliner den Techno mit der Love Parade abgewickelt und bloß ein paar verhuschte, wenig fotogene Elektronikkünstler hinterlassen. Also blieben auf den Hochglanzfotos bröckelnde Fassaden oder coole ostzonale Plattenbauten zu betrachten.

Jetzt gibt es neue Gesichter, und die Platten dazu gibt es auch. Von der beherzten Rockband Mia, deren Album «Hieb- & Stichfest» heißt und auch ganz genauso klingt. Von Maximilian Hecker, dem Empfindsamen, der noch vor kurzem auf den Hackeschen Höfen gefühlvoll in die Saiten seiner Gitarre griff. Und von Laub, dem Paar, das deutsche Ingenieursmusik zu beiläufiger Lyrik produziert. Das alles wird gemocht in London und New York, in Tokyo und, wie zum Beispiel Maximilian Hecker, selbst in Tel Aviv. Wie so manches andere, nur weil es aus Berlin stammt, der bankrotten, aber mythisch kreativen Metropole.

Und wie findet uns die Welt jetzt, dank Peaches und Gonzales, Mia, Maximilian Hecker oder Laub? Sie muss uns Deutsche endlich für aufgeschlossen halten, für hipp und für humorvoll. Denn im Grunde handelt es sich auch im Musikbusiness einfach um globales Denken und lokales Handeln. In jener verschlafenen Kleinstadt, bei Bonn, rechts des Rheins, wird ein Stück Popgeschichte mitgeschrieben. Irgendwie. Berlin spielt eine nicht unwesentliche Rolle dabei. Das ist gut zu wissen.