Rotkäppchens Versuchung

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Claudia Becker

Den Kellerkindern hatte er den Brunnen gewidmet. Jenen Mädchen und Jungen, die in den feuchten Mietskasernen von Friedrichshain ein trauriges Dasein fristeten und in deren düsteren Hinterhöfen nicht einmal eine Brennessel gedieh. All jene Kinder hatte der Berliner Baustadtrat Ludwig Hoffmann im Sinn, als er 1901 für den Volkspark Friedrichshain einen Eingang konzipierte, der wenigstens die Phantasie in schönere Gefilde lenken sollte: Ein Brunnen, auf dem das Plätschern des Wassers Dörnröschens Schlaf versüßt, Rotkäppchen mit dem Wolf plaudert und Hänsel und Gretel über die Hexe lachen. Die Bildhauer Josef Rauch, Ignatius Taschner und Georg Wrba haben in Hoffmanns Auftrag die Ornamente und Figuren gestaltet. Ebenso witzig wie entzückend. Unter den sieben Zwergen wollen findige Beobachter gar den Maler Adolf Menzel entdeckt haben.

Am 30. Juli wäre Ludwig Hoffmann, der mit Bauten wie dem Rudolf-Virchow-Krankenhaus das Bild der Stadt maßgeblich geprägt hat, 150 Jahre alt geworden. Als er 1924 nach 30 Jahren Amtszeit in den Ruhestand ging, hatte er insgesamt 111 Bauanlagen geplant. Aber für kaum ein Gebäude hatte er so hartnäckig gekämpft wie für den Märchenbrunnen. Schon 1901 stellte er ein erstes Modell auf der Berliner Kunstausstellung vor.

Kaiser Wilhelm II. mochte sich mit der Anlage nicht so richtig anfreunden. Schließlich konnte Hoffmann den Kaiser bei einem Besuch auf dem Jagdschloss Hubertusstock doch noch überzeugen. Aber bis das Brunnenprojekt abgeschlossen war, mussten noch schwere finanzielle Hürden überwunden werden. 700 000 Mark sollte das Projekt verschlingen, der städtische Haushalt hatte für Kunst allerdings gerade mal ein Siebtel übrig. Und dann wurde doch noch alles gut. Am 15. Juni 1913 weihte man den Brunnen im Rahmen der Feierlichkeiten zum 25-jährigen Thronjubiläum des Kaisers ein.

Nach Kriegszerstörungen und Wiederaufbau des Brunnenensembles in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, haben mutwillige Randalierer 2000 vier Märchenfiguren mit dem Hammer bearbeitet. Bei dem Berliner Steinmetz Roland Luchmann konnten Rotkäppchen und Aschenputtel wieder genesen. Aber als vor einem Jahr die Sanierungsarbeiten begannen, entschied man sich, besser doch nur noch Kopien aufzustellen. Ein zweites Mal überlebt Hans im Glück ganz sicher nicht, wenn man ihm den Schädel einschlägt. Den Kindern von Friedrichshain aber würde es das Herz brechen.