«Jeder Gegenstand hat eine Seele», sagt Raffael Rheinsberg. «Sie meldet sich zu Wort, wir müssen der Sprache der Dinge nur lauschen.» Er hat sie gesucht und in neuen Zusammenhang gebracht. Aus Fundstücken des Alltags zeigt der Künstler Bilder, die über Geschichte Auskunft geben - zerbrochene Straßenschilder, Schuhe von Zwangsarbeitern, Bombensplitter.
Mit ihnen schafft der 59-Jährige Sinnbilder gegen Krieg, Gewalt, Zerstörung und gegen das Vergessen. Immer sozial, auch politisch, nie belanglos. Da werden gefundene Koffer zur «Klagemauer», die in Ostberlin aufgelesenen Schilder zum «Gebrochen Deutsch» und Sprengmeister zu stillen Helden. Ihnen hat der Pazifist seine neueste Installation «Helden» in der Nikolaikirche gewidmet.
Aufgewachsen in den Ruinen der zerbombten Stadt Kiel, kämpft er mit den Mitteln der Kunst gegen das Unrecht der Welt. Den rostigen Trümmern ist der Künstler in gewisser Weise treu geblieben. Nur treibt der Sachensucher und Spurensicherer heute mit ihnen kein Spiel mehr. Aber den versteckten Moralisten kehrt er auch nicht heraus. Vielmehr ist dem bodenständigen Realisten klar, dass Kunst die Menschen nicht ändert. Doch Denkanstöße kann sie geben. So wie die rund 1500 Bombenteile im Gotteshaus - Reste von Granaten, Phosphorbomben, Panzerfäusten - , die er zum Gedenken an die Toten auf dem Boden ausgebreitet hat.
Sehr ordentlich, wie er das immer tut, nicht aufgehäuft, sondern zu einem klar gegliederten Feld arrangiert. Puristisch in Reih und Glied. Ein Kreis wäre ihm zu symbolisch. Schließlich möchte Rheinsberg die Interpretation dem Betrachter überlassen. Die Dinge selbst sollen erzählen. «Es gibt nichts zu erfinden, denn die Dinge sind schon da», erklärt er, «es gibt nur die Wahrnehmung.»
Rheinsberg agiert als Künstler nicht losgelöst von der Gesellschaft, er nimmt teil. Als er in einer Paderborner Bahnhofskneipe saß und gerade vom Selbstmordattentat in einem israelischen Bus las, kamen fünf Polizisten herein und baten die Gäste zu gehen. Eine Bombe sollte in der Nähe entschärft werden. Erst drei Stunden später konnte der Künstler seinen Zug nach Berlin besteigen. Um eine Idee reicher. Die «Helden» waren geboren.
Rheinsberg sucht und findet. «Im Gehen sehen», nennt er das. Seine Funde macht er in Abbruchhäusern, Fabriken oder zwischen Bahngeleisen. In jeder neuen Stadt, in der er eine Installation verwirklicht, greift er zunächst zum Branchenbuch. «Ich habe die Archäologie gewählt als Methode», berichtet der gelernte Former und Gießer, der erst mit 30 Jahren zur Kunst fand. Heute werden seine Werke vorwiegend in Museen gezeigt, befinden sich unter anderem im Albertinum in Dresden, in der Neuen Nationalgalerie und der Berlinischen Galerie.
Mit der «Helden»-Installation, die anlässlich der Verleihung des Preises der Ilse Augustin-Stiftung entstand, will er einen Schlusspunkt in seiner Auseinandersetzung mit dem Krieg setzen. Die Zukunft gehört dem Blick auf die Veränderung von Arbeitsprozessen. Auch dazu wird Raffael Rheinsberg einiges zu sagen haben.
Museum Nikolaikirche, Nikolaikirchplatz, Mitte. Di. - So. 10 - 18 Uhr. Bis 8. 9.