Karrieren verlaufen gewöhnlich anders rum. Erst kommt der Ruhm, dann der Knick - und schließlich die Krise. Nicht so bei Anthony Hopkins. Der wurde schon immer als ernst zu nehmender Schauspieler gehandelt. Zählte zu Laurence Oliviers Ensemble in dessen legendärem «National Theatre at the Old Vic». Und hatte sich in 35 Jahren durch 21 Kino- und 36 TV-Filme gespielt. Aber partout konnte sich keiner an ihn erinnern.
Gleich in seinem ersten Film «Der Löwe im Winter» stand er 1968 an der Seite von Katharine Hepburn und Peter O'Toole. Manchem fällt noch der spätere Bond-Darsteller, damals aber blutjunge Timothy Dalton ein. Keinem aber Hopkins als Richard Löwenherz. Oder «Die Brücke von Arnheim»: In dem spektakulären Kriegsfilm ist er der eigentliche Held dieser Stadt, Colonel Frost; doch viel präsenter waren all die internationalen Stars in den Nebenrollen. Schließlich David Lynchs Klassiker «Der Elefantenmensch»: Kennt jeder. Haben alle gesehen. Aber wer erinnert sich an Hopkins? Dabei spielte er wiederum die Hauptrolle. Und zwar den Doktor. Nicht etwa die verunstaltete Titelfigur.
Über Jahre hinweg war der Mime zudem für die Titelrolle eines Monumentalfilms vorgesehen, der ihm endlich den Durchbruch bescheren sollte: «Gandhi». Doch die Rolle ging bekanntlich an einen anderen. Hopkins war so ziemlich der berühmteste Unbekannte des britischen Films. Und sah, Ende der Achtziger, seinen Zug schon abgefahren: «Ich muss mich wohl oder übel damit abfinden, dass ich ein angesehener Schauspieler bin, der im West End herumläuft und bis ans Ende seiner Tage respektable Projekte für die BBC macht.»
Doch dann kam alles anders. Denn Jonathan Demme hatte ihn im «Elefantenmensch» gesehen. Nicht nur gesehen, sondern auch memoriert! Und er wollte den damals 51-Jährigen unbedingt für seinen Thriller «Das Schweigen der Lämmer». Produzent Mike Medavoy war entsetzt: Ein Unbekannter als Hannibal Lecter? Da der Regisseur aber auch auf Michelle Pfeiffer bestand, bot ihm Medavoy einen Deal an: «Wie wär's - Sie nehmen Jodie Foster und ich akzeptiere Hopkins?» Ein Kuhhandel mit weitreichenden Folgen.
Zwar ist Hannibal «the Cannibal» bis heute die Rolle, in der er die wenigsten schauspielerischen Möglichkeiten hatte. War er doch gerade mal eine halbe Stunde zu sehen, meist im Glaskäfig, zuweilen in einer Zwangsjacke - und ab und an gar mit Beißschutz. Doch «Das Schweigen der Lämmer» heimste die fünf wichtigsten Oscars ein - ein Rekord, der zuvor nur zwei Filmen gelang, «Es geschah in einer Nacht» und «Einer flog über das Kuckucksnest». Auch Hopkins errang einen. Auch er flog übers Kuckucksnest. Und es geschah wirklich in einer einzigen Nacht, dass er in die A-Liga aufstieg.
Seither kann er sich seine Rollen aussuchen. Hat, in nur elf Jahren, 28 weitere Filme gedreht. Titel, an die sich jetzt jeder, und gerade seinetwegen, erinnert: «Wiedersehen in Howards End». «Was vom Tage übrig blieb». «Nixon». «Amistad». «Mein Leben mit Picasso». Zwar ist ein Hopkins-Film noch nicht zwangsweise ein Hit. Seine bislang einzige Filmregie, «August» (nach Tschechows «Onkel Wanja») kam hierzulande nie ins Kino, genauso wenig die aufwändige Shakespeare-Adaption «Titus». In letzter Zeit hat er sogar veritable Flops wie «Bad Company» gelandet. Doch im Gegensatz zu früher kann ihm das heute nichts mehr anhaben.
Konsequent hat er denn auch nicht mehr für die BBC gearbeitet, ja seit 1989 auch keine Bühne mehr betreten. Das langweile nur, sagt der einstige Theater-Veteran heute. Ein Nestbeschmutzer! Gerne spielt er seinen Nimbus herab, sieht sich nicht als «Star», sondern als Mime, der «bloß seinen Job» macht. Auch das Wort «Routine» fällt dabei gern. Dennoch lässt er sich feiern (seine Queen etwa adelte ihn zum Sir) und stilisiert den einstigen Makel als «schwieriger» (also launenhafter) Darsteller zum Gütesiegel. Zuweilen ruht er sich auch auf alten Meriten aus. So ließ er sich überreden, den alten Hannibal noch zweimal zu spielen: bis er in diesem Jahr endgültig genug davon hatte.
Das Böse, Gemeine, es liegt ihm mindestens so sehr wie seine früheren, eher gebrocheneren Figuren. Und mancher Klassenkamerad mag sich erinnern, dass man ihn im Internat stets «Mad Hopkins» nannte: den Verrückten. Das lässt den großen Mimen freilich kalt. Er kann heute, in aller Ruhe und Gelassenheit, seinen 65. Geburtstag feiern. Hoffentlich ohne Menschenfleisch.