Lasziver Zungenbrecher

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Peter Hans Göpfert

Der Abend vereint zwei Fan-Gemeinden. Dem härteren Kern einer von beiden sollte man schon angehören, um die jüngste «Uraufführung» des Berliner Ensembles ungeschmälert genießen zu können. Denn «Theater» ist nur der Vorwand, zwei Namen aus dem intimen Passepartout des After-Eight-Kabaretts herauszunehmen und in den größeren Rahmen zu stellen: Georg Kreisler und Tim Fischer.

Adam Schaf ist «ein alter Schauspieler mit weißer Perücke». Er wartet auf seinen Auftritt. Dabei erinnert er sich seines Lebens. Das ist schon alles, was die Bezeichnung «Stück» rechtfertigt. Nach allerlei Untertitel-Wechseln nennt sich «Adam Schaf hat Angst oder Das Lied vom Ende» jetzt ein «Musical in zwei Akten». Immerhin ist dem Mimen vom Autor noch die Inspizientin Adelheid zugesellt worden. Eine überflüssige Rolle, derer sich die bedauernswerte Steffi Kühnert mit allen Anzeichen einer aus der Puste geratenen Großcharge entledigt, was ihr am Ende einige Buh-Rufe doch nicht ersparen kann.

Nach der Pause hat sich die «Handlung» ganz verflüchtigt. Vor allem geht es darum, dass Schaf immer neue Chansons von Georg Kreisler einfallen. Beide treffen sich in ihrer Resignation. «Ich habe mir irgendwann gesagt, so jetzt ist's genug, ich trete nicht mehr auf», sprach Kreisler, und: «Was ich an Musik mache, da zehre ich von meiner Vergangenheit». Schaf, sein ernüchterter Bühnen-Bruder, singt: «Es hat keinen Sinn mehr, Lieder zu machen, statt die Verantwortlichen niederzumachen».

Kein Wunder, dass Schafs Erinnerungs-Repertoire im Damals wurzelt. Noch immer alte Nazis in neuen Ämtern nach dem Krieg, noch immer der finstere Wunschtraum eines schöneren Wien (ohne Wiener!). Es überrascht, eine Arznei, die keine Taube im Park mehr vergiften würde, am Haus des Thomas-Bernhard-Freundes Peymann verschrieben zu bekommen. In einem Theater, wo immerhin die «Dreigroschenoper» uraufgeführt wurde, macht sich Kreisler nun auf «diese führenden Menschen», den Papst, Bill Gates, Berlusconi und Saddam Hussein, seinen Reim «die sind so mies, ja, die sind so mies».

Tim Fischer wischt die mit heißer Nadel aktualisierten Blässen schmissig weg. Er versucht gar nicht erst, Kreislers angestrengt quasi-politischen Anspruch zu vertiefen. Er interpretiert nicht, er exponiert. Und trifft den Kreisler-Ton ganz erstaunlich, wenn auch ohne den subversiven austrischen «Charme» des Originals. Die Liedtexte sind ihm reines Spielmaterial. Tim Fischer verkörpert nicht Adam Schaf. Er spielt - Tim Fischer. Aasig, gelegentlich akrobatisch zungenbrecherisch und lasziv.

Dem Publikum scheint es bei so viel Perfektion schnuppe, dass die dargebotene kabarettistische Kulturphilosophie verbraucht ist. Kreisler hält sich weiter an den Walzer und lästert, die Kleine Nachtmusik recycelnd, über die Ignoranz des Konzertpublikums gegenüber «neuer» Musik.

Werner Schroeters erkennbarste Regie-Zutat ist das eigene Bühnenbild. Darin finden neben der Viermann-Kapelle auch zwei knackige Boxer Platz, die sich einen Fight liefern und auch schon mal Tim Fischer in die Clinch-Mitte nehmen. Dass sich ausgerechnet Schroeter und Fischer ein denunzierendes Chanson über einen zwischen Geschlechter-Identitäten changierenden Sekretär nicht entgehen lassen, wundert mehr als die Einlage eines transvestitischen Schleiertanzes.

Der Jubel ist enorm. Blumen, Fotos, Autogramme. Schroeter und Fischer applaudieren Kreisler, Kreisler applaudiert Fischer. Der fühlt sich, laut eigener Homepage, «aufgerufen, die Fackel der kultivierten Boshaftigkeit zu übernehmen und weiter durch deutsche Lande leuchten zu lassen».

Berliner Ensemble, Bertolt-Brecht-Platz 1, Mitte. Tel.: 284 08 155. Nächste Vorstellungen: 11. u. 17. 12., 20 Uhr.