Mancher ahnte schon im Sommer 1998 schlimmes. Whitney Houston sang zum bislang letzten Mal für die Berliner. In der Köpenicker Wuhlheide, im Dauerregen. Nach fast jedem Lied verschwand sie, um das Kleid zu wechseln. Auch ihr Tanzen ähnelte verhaltener Aerobic. Schön, rief sie, dass die Berliner Mauer nun gefallen sei. Vier Jahre ist das her.
In dieser Zeit machte sie durch verschiedenste Gerüchte, Nachrichten und wenig schmeichelhafte Bilder auf sich aufmerksam. Von Drogen war die Rede, Prügeleien mit dem Ehemann, von Magersucht oder missratenen Konzerten. Nun ist Whitney Houston wieder da mit ihrem neuen Album, das «Just Whitney» heißt. Nur Whitney, nur Musik, nur Pop und Soul und keinen Ärger.
Allenfalls zur Nachbehandlung rechnet sie noch einmal mit den Medien ab. Sie singt im wirklich zauberhaften «Whatchulookinat: «Jetzt wende ich die Kameras auf euch / Die gleichen Scheinwerfer, die mir den Ruhm verliehen / Suchen Whitneys Namen zu beschmutzen.» Als sie allerdings den Dreh des Videoclips dafür verschieben ließ, vermuteten die Medien lautstark, Whitney Houston sei entkräftet. Als der Clip erschien, wurde gemeldet, Whitney Houston musste digital erst optisch aufgepäppelt werden. Wie auch immer: Es ist Whitney Houstons reifste Platte. Sei es, weil sie während ihrer Arbeit wütend war. Vielleicht trifft auch die unsinnig romantische Legende einmal zu, ein Interpret des Soul müsse das Leid am eigenen Leib erlitten haben, um es zu besingen. Was Aretha Franklin, die Cousine Dionne Warwick oder ihre Mutter Cissy Houston für sie waren, könnte Whitney heute für die jungen R&B-Stars werden. Eine Stilmutter für Sängerinnen wie Beyonce Knowles oder Alicia Keys.
Und nicht zuletzt durch ihre offensichtlich überstandenen Eskapaden und durch ihre Platte darf sich Whitney Houston auch berechtigt «Diva» nennen. Heute gelten schwierige und glamouröse Sängerinnen schnell als Diva. Und so wollen es der Zufall und das Vorweihnachtsgeschäft: In den Regalen treffen sich in diesen Tagen die CDs der Divenkonkurrenz. Mariah Carey, ähnlich von der Medienschmäh gebeutelt, bringt ihr «Charmbracelet» heraus. Jennifer Lopez ist mit «This Is Me... Then» vertreten. Toni Braxtons Album heißt «More Than A Woman». Also darf verglichen werden mit der Soul-Pop-Stimme aus der Ära zwischen Wettrüsten und Mauerfall: Die Carey pflegt das hitparadensichere Mittelmaß. Die Lopez ist zwar auf der Leinwand besser, aber ihre Platten sind nur Teil ihrer Verwertungskette. Und die Braxton klingt so glatt, wie ihre traumhafte Karriere.
Schon allein für das Duett «My Love» mit ihrem jähzornigen Gatten Bobby Brown, für diesen hymnenhaften Soul aus der Gerüchteküche, möchte mancher erstmalig vor Whitney Houston niederknien. Auf diese Weise schließt «Just Whitney» an ihr erstes Album «Whitney» aus dem Jahre 1985 an.
In Berlin hatte sie 1998 schon erklärt, sie wolle zurück zu den Wurzeln, zu den Gospels der Baptistenschule vor der Zeit als Titelmädchen. Damals auf der Bühne hat sie sich verplaudert und die Menschen, die sie mochten, ziemlich schwer verwirrt. Nun ist sie wieder bei sich.