Ein Finne im Dschungel

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Volker Tarnow

Er ähnelt einem höflichen Musterschüler, der mal eben den Zentralrechner des Pentagon lahm legt oder das Sony-Zelt am Potsdamer Platz aus der Verankerung löst. Und dann mit dem freundlichsten Lächeln zu wichtigeren Themen übergeht. Warum etwa moderne Musik mindestens so kompliziert und elegant wie ein Fabrikat der A-Klasse sein muss. Anfangs begnügte sich Magnus Lindberg, der Junge Wilde unter Finnlands Komponisten, mit raffiniert rotierender Lautstärke: bis zu siebzig Töne schichtet das für Symphonieorchester und elektronisch verstärkte Instrumente geschriebene Erfolgsstück «Kraft» übereinander, und die Musiker gehen während der Aufführung im Konzertsaal spazieren.

Die Idee dazu überfiel Lindberg in einer Berliner Diskothek. «Ich lebte 1983 hier, um Deutsch zu lernen. Eine Lady aus meiner WG arbeitete im «Dschungel» an der Nürnberger Straße: Eintritt frei, Drinks gratis, und eine mir ganz unvertraute Klangwelt wie die Einstürzenden Neubauten.»

Auch in Helsinki drohten einige Fassaden einzustürzen. Lindberg und seine Co-Revolutionäre Salonen und Saariaho lehnten die heimische Musiktradition radikal ab. Das finnische Opernwunder der 70er Jahre war für ihn «Pelzmützentheater», das Studium bei Altmeister Rautavaara wurde abgebrochen. «Ich brauchte keine Ermutigung zum Komponieren, ich brauchte Satztechnik.» Die fand er bei den Darmstädter Sommerkursen für Neue Musik und später in Boulez' elektronischem Studio in Paris. Lindberg, der als Sohn eines IBM-Programmierers unter Lochkarten und Computertürmen aufwuchs, konnte sich ein Komponistendasein ohne Mischpult schwer vorstellen. Als Pianist entwickelte er beachtliche Fähigkeiten, doch sein großer Guru hieß Stockhausen. «Nur das Extrem ist interessant», hat Lindberg damals behauptet, «das Hyperkomplexe, kombiniert mit dem Primitiven.»

Dem Motto ist er treu geblieben. Die Orchesterwerke der 90er Jahre, darunter das vor stählerner Expressivität bebende «Aura», sind nach Norden gepeilt, haben aber nichts von ihrem brutalen Sex-Appeal verloren. Die Helden des finnischen Kalevala kehren aus dem Tonstudio zurück - Mythos und Moderne in harmonischer Zwangsehe. Sein Lieblingstück? «Mein jüngstes, das Klarinettenkonzert.» Es wird beim «Magma»-Festival zu hören sein. Falls niemand den Stecker rauszieht.

Philharmonie, heute 20 Uhr, Karten Tel.: 1080 / 544 9 4 49