Schneewittchen, Dornröschen, Rosamunde. Sie waren, eben in Hamburg, die ersten «Prinzessinnen», allesamt Opferfiguren der Männergesellschaft. Zwei weitere Dramolette hat Elfriede Jelinek nun eigens für das Deutsche Theater in Berlin geschrieben, eines sogar, was sonst gar nicht ihre Art ist, für eine spezielle Schauspielerin. Für Elisabeth Trissenaar, Muse und Gemahlin des Regisseurs Hans Neuenfels, der die Stücke jetzt in den Kammerspielen zur Uraufführung inszeniert hat.
Beide Stücke sind von denkbar unterschiedlicher Machart. Und Neuenfels, damit ihm die Leute nicht davonlaufen, tut gut daran, «Jackie» und «Die Wand», die Teile IV und V des unter dem Schubert-Titel «Der Tod und das Mädchen» firmierenden Zyklus', in umgekehrter Reihenfolge zu spielen.
Das Publikum sitzt zu zwei Seiten der Spielfläche. Daher ist vorzügliche Gelegenheit zur Beobachtung, wie im jeweiligen Gegenüber reihenweise die Augenlider niedersinken, die Köpfe auf die Brust sacken. Kritiker machen da keine Ausnahme, Namen werden hier nicht genannt. Nur Tote werden an diesem Abend (Totensonntag!!!) auf der Bühne lebendig. Im ersten Stück geraten die Dichterinnen Ingeborg Bachmann und Sylvia Plath ins Wortgemenge. Die Küche ist von heute, das Ritual, in dem sie einen Widder zerlegen und Blutsuppe kochen, aus dem archaischen Gestern. Toten-Herbeirufung waltet neben allerlei Geschlechtervergleichen und angespannt feministischer Selbstironie. Almut Zilcher und Julia Wieninger spielen die Chose mit viel hysterischer Erhitzung und manchem Hin und Her.
Die Autorin hat offen gelassen, wer eigentlich welchen Text zu sprechen hat. Und wie auch immer: sein tieferer Sinn verbirgt sich wie hinter einer Wand - und gerade eine solche ist der Gegenstand unermüdlicher Motiv-Befragung. «Hermetisch» sagt der Fachmann, «Bahnhof» der Laie. Bevor die beiden Frauen in ihren Totenkleidchen die Herdplatte bedienen, lässt sie Neuenfels zwei hart gekochte Eier zertrümmern und ein Wiener Würstchen mit der Schere zerschnippeln. Das kapiert jeder, auch wenn er sonst rein gar nichts versteht. Dieses erste Stück, um im kulinarischen Vergleich zu bleiben, ist ein aufgegangener Brei oder ein zusammengefallenes Soufflee, schwer zu entscheiden.
Beim zweiten dagegen ist alles mineralwasserklar. Diesmal gibt Elisabeth Trissenaar die Leiche und wird als solche sogar auf einer Bahre hereingetragen. Gezeichnet von der Folgen der Krebsbehandlung monologisiert Jacqueline Kennedy über sich selbst und ihre Toten. Den ermordeten Mann, den Schwager, die totgeborenen Kinder. Eine Frau, die sich über ihre Kleider definierte, über den Foto-Charakter ihres Auftretens. Ein Jelineksches Feindbild mehr, diese immer disziplinierte, sich ihrer Wirkung in jedem Augenblick bewusste First Lady. Eine Frau als Objekt und öffentliche Darstellerin.
Trissenaar hat keine Mühe, diese Rolle zwischen beiden Publikums-Fronten in ihrem Totsein zu verlebendigen. Der Monolog ließe sich mühelos als Kabarett-Nummer erledigen. Neuenfels, mit seiner Darstellerin, schafft daraus aber eine eigene Kunst-Figur. Diese Jackie trägt kein Chanel-Kostüm. Sie ist, selbst wo sie die blonde Rivalin Monroe höhnt, über Drogen und Geschlechtskrankheiten des Präsidenten plaudert, immer auch Opfer.
Jackie mit schütterem Haar, schließlich mit Glatze. Trissenaar tänzelt, sie singt auch. Neuenfels hat ihr einen Pianisten zugesellt, der neben nationalen und sonstig musikalischen Zitaten («Happy birthday, Mr. President») auch reale Hilfestellungen gibt. Trissenaar legt sich, wie man sagt, mit Hingabe in das Spiel von Sein und Scheinen. Da schläft wenigstens niemand ein. Aber Jelineks Demonstrations-Fall wird nicht wirklich interessant. Man riecht den Braten. Auftragsarbeit! Daran werden auch die Toten nicht satt.
Deutsches Theater/Kammerspiele. Schumannstraße 13 a, Mitte. Nächste Vorstellungen: 30.11., 8.12., jeweils 20 Uhr. Karten Tel.: 284 41 225.