«Historische Travestie»

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Eggert Schröder

Der Historiker Jörg Friedrich hat mit seinem Buch «Der Brand» über britische Bombenangriffe auf die deutsche Zivilbevölkerung Diskussionen ausgelöst. Einige englische Medien und Historiker sehen darin den Versuch, die Gräueltaten der Nazis relativieren zu wollen - für viele eine Zumutung, zumal es die Deutschen waren, die mit dem Bombenkrieg begonnen hatten.

«Die Freundschaft zwischen unseren Nationen sollte gut genug sein, dass wir gemeinsam daran arbeiten können, die Wahrheit auszugraben», sagte Jörg Friedrich in einem Interview mit dem «Daily Telegraph». Und mit dieser Einschätzung könnte er richtig liegen, denn auch wenn es bereits heftige Kritik an seinem Buch gegeben hat, ist die Rezeption in Großbritannien insgesamt recht ausgewogen. Zumindest sorgt es nicht für so viel Wirbel wie jedes Fußballspiel zwischen England und Deutschland, bei dem in der britischen Presse der Zweite Weltkrieg stets erneut auf Zeitungspapier ausgefochten wird. Die «Times» sieht Friedrichs Buch im Zusammenhang mit Günter Grass' Novelle «Im Krebsgang» (über den Untergang der «Wilhelm Gustloff») oder mit Dieter Fortes Roman «Schweigen oder sprechen». Wobei «die Forschungsarbeit von Dr. Friedrich in dieser Hinsicht die bislang größte Wirkung in Deutschland hat», wie das Blatt schreibt. Konkrete Auswirkungen negativer Art befürchtet der «Daily Telegraph»: «Die Fortsetzungsveröffentlichung des Buches wird Rechtsextremisten in Deutschland Argumente liefern, um ihre revisionistischen Forderungen zu untermauern. Sie wird ebenso jüngere Versöhnungsversuche zwischen Großbritannien und Deutschland über die Bombardierung von Dresden im Februar 1945 überschatten.»

Die BBC gab dem Historiker derweil Gelegenheit, seine Thesen mit einem Enkel Churchills im Fernsehen zu diskutieren, wobei der Historiker unmissverständlich deutlich machte, dass er Churchill nicht für einen Kriegsverbrecher hält. Ein Vorwurf, den britische Historiker erhoben hatten.

Ein Buch wie «Der Brand» kann natürlich nicht erscheinen, ohne dass zumindest ein Blatt versucht, den Urheber publizistisch zu zerfleischen: «Daily Mail» bezeichnet das Buch als «gefährliche Umschreibung der Geschichte» und «historische Travestie, die deutschen Rechtsradikalen und auch britischen Neonazis Auftrieb geben wird». - Aber in «Daily Mail» ist grundsätzlich kein positives Wort über Deutschland im engen und über Kontinentaleuropa im weiteren Sinne zu lesen. Und der «Mail»-Autor ist zudem Verfasser eines Buches über die im Krieg verlorenen britischen Träume, was ihm vielleicht einen offeneren Blick auf Friedrichs Buch versperrt. «Sicherlich haben wir Anrufe und E-Mails zu dem Buch erhalten, aber von einem Entrüstungssturm aus der britischen Bevölkerung kann keine Rede sein», heißt es aus der deutschen Botschaft in London. «Diese Anrufer oder Mail-Schreiber sind einem begrenzten Personenkreis zuzuordnen, der deutschfeindlich eingestellt ist und gerne auf ohnehin überspitzte Zeitungsschlagzeilen reagiert. Doch als der ,Spiegel' im Sommer eine negative Titelgeschichte über das Haus Windsor druckte, waren die Reaktionen sehr viel heftiger als jetzt.»

Sicherlich stimmt, dass die britische Boulevard-Presse gerne alte Deutschland-Klischees mit dem Holzhammer bedient, und es mag auch stimmen, dass die seriöse Presse keine Gelegenheit auslässt, die Schwächen der zugleich beneideten und beargwöhnten deutschen Gesellschaft oder Politik an den britischen Pranger zu stellen. Daraus abzuleiten, dass die Briten an sich deutschfeindlich eingestellt seien und dass Friedrichs Buch den Ansatz einer deutsch-britischen Aussöhnung untergraben würde, ist falsch. Gerade die bislang ausgewogene Rezeption von «Der Brand» lässt hoffen, dass in vielleicht greifbarer Zukunft sogar ein Fußballspiel zwischen Deutschland und England auf der Insel als ein rein sportliches Ereignis angesehen werden könnte. (SAD)