Als im vergangenen Jahr der erste Harry-Potter-Film in die Kinos kam, war das Internat Hogwarts aus Lego-Steinen so erfolgreich, dass es - von wem auch immer - als «Toy of the Year» ausgezeichnet wurde. In diesem Jahr kommt, passend zum neuen Film, «Die Kammer des Schreckens» ins Regal.
Männern zwischen 30 und 50, also in jenem Alter, in dem man heute gewöhnlich Vater wird, muss man raten, den Besuch von Spielwarenabteilungen lieber ihren Gattinnen zu überlassen. Denn Frauen sind nicht so objektfixiert, sonst wäre das Sammlerwesen wohl kaum eine maskuline Domäne. Männer hingegen neigen, wie seit Prousts «Recherche» und Illies' «Generation Golf» bekannt, stark dazu, sich ihrer eigenen Lebensgeschichte mit Hilfe von Erinnerungsfetischen zu vergewissern. Da können die Furien des Verschwindens, die in den Spielzeugläden gewütet haben, möglicherweise schwere Identitätskrisen heraufbeschwören. Nach Airfix, Plastikant, Matchbox oder Carrera, Namen, die in Kinderzimmern 1950 - 1980 heiligen Klang hatten, muss man heute in den Kaufhäusern und großen Ketten lange suchen. Wenn ihnen ohnehin nicht nur noch auf Gedenkaltären im Internet gehuldigt wird.
Im Gegensatz zu ihnen ist Lego als Marke zwar noch omnipräsent. Doch auch Legoland ist abgebrannt. Zwar wurde erst kürzlich ein Gelände dieses Namens im bayerischen Günzburg von Ministerpräsident Edmund Stoiber eingeweiht. Mit der Realität deutscher Kinderzimmer hat dieser Vergnügungspark allerdings so wenig zu tun wie ein japanischer Neuschwanstein-Nachbau mit dem Deutschland von Schröder, Rudi Völler und Dieter Bohlen. Statt der altmodischen Legosteine vertreibt die Firma heute vor allem gelbe Hollywood-Monster, in denen Kinder zwar Harry Potter, Obi-Wan Kenobi oder Steven Spielberg wieder erkennen sollen, die für den kritischen Erwachsenen aber aussehen wie plattgesichtige Playmobil-Plagiate aus Nordkorea.
Als im vergangenen Jahr der erste Harry-Potter-Film in die Kinos kam, war das legofizierte Internat Hogwarts so erfolgreich, dass es - von wem auch immer - als «Toy of the Year» ausgezeichnet wurde. In diesem Jahr kommt, passend zum neuen Film, «Die Kammer des Schreckens». Für alle Eltern, die nicht gleich 90 Euro ausgeben wollen, sind auch noch Sets wie «Dumbledores Büro» (65 Euro) oder «Dobbys Befreiung» im Angebot. Allmählich schwillt die Potter-Produktreihe auf den Umfang der «Star Wars»-Figürchen an, die Lego ebenfalls anbietet.
Der Abschied vom traditionellen Lego hatte bereits vor einigen Jahren mit der «Bionicle»-Reihe begonnen, einer Art Kampfroboter mit Stahlkrallen, wie sie die Kinder aus ihren Computerspielen kennen. Dem seit Jahren schwelende Roboter-Boom zollt auch die «Spybotics»-Reihe für anspruchsvollere und ältere Jugendliche Tribut. Man kann den Lego-Managern nicht nachsagen, dass sie irgendeinen neueren Trend im Kinderzimmer verpennt hätten.
Die klassischen Legosteine existieren nur noch als Nischenprodukt für die ganz Kleinen, die noch nicht ins Kino dürfen. Im neuesten Katalog sind sie schamhaft versteckt, wie etwas geschmacklose Erbstücke, die man nicht wegwirft so lange Oma noch lebt. Nachgeborenen muss vielleicht erklärt werden, dass Legosteine rechteckige Plastikstücke waren, die man mit Hilfe einer genial einfachen Noppentechnik zu einer unbegrenzten Vielfalt von Gegenständen zusammensetzen konnte. Das regte nicht nur die Fantasie an, es sparte auch Geld. Denn der Zweijährige servierte Legos seinen Teddies als Tortenstücke, als Siebenjähriger baute man daraus eine Garage und noch mit elf ließ sich daraus trefflich eine Festung bauen, die man anschließend mit Murmeln in Trümmer schoss.
Diese Nachhaltigkeit hat den Direktoren des dänischen Lego-Konzerns sicher manches Mal den Appetit auf Smörrebröd und Röde Pölser verdorben. Gibt es doch aus wirtschaftlicher Sicht nichts Schlimmeres als ein Produkt, welches, einmal gekauft, ein Leben lang nützt und womöglich gar an nachfolgende Generationen weitegereicht wird. Das Problem hat man gelöst: Die Lego-Bauteile zu Harry Potters «Kammer des Schreckens» etwa sind so speziell, dass Kinder daraus nur schwer etwas anders basteln können als eben diese Schreckenskammer. Falls sie für ihre Spiele mal eine eine Rennbahn, eine Tankstelle oder einen Bahnhof brauchen, können sie die ja dann neuerlich ihren Eltern aus dem Portemonnaie quengeln.
Das alles gibt es als Legobausätze, die - einmal zusammengesetzt - eigentlich nichts anderes werden sollen, als das was auf der Packung steht. Eine Dampfwalze namens Merchandising hat das Reich der unbegrenzten Fantasie dem Erdboden gleichgemacht. Das dämonische Dauergrinsen, das die Lego-Designer ihrem Harry Potter und seiner Hermine ins Plastikgesicht gepinselt haben, ist kein Produktionsfehler - es ist die triumphierende Fratze des Ökonomie.
Lego im Internet