Bertolt Brecht hätte sich gefreut. Oder ein sentimentales Tränlein vergossen. Der Leser möge schon entschuldigen, aber gegen Brecht kann sich ein Artikel, in dem es ums Boxen und ums Theater geht, kaum wehren. In diesem Fall geht es ums Boxen im Theater, noch dazu ums Berliner Ensemble, des Boxerfreundes Brechts Bühne.
Hier, an intellektuell geweihter Stätte, kämpften am Montagabend 40 junge Berliner gut eine Stunde lang mit geballten Fäusten um eine Bühnenrolle. Film- und Theaterregisseur Werner Schroeter, der einst mit «Palermo oder Wolfsburg» den Goldenen Bären gewann und dessen Arbeiten «Anschläge auf die Konvention» genannt wurden, hatte zum Casting geladen. Denn zur Uraufführung von Georg Kreislers «Adam Schaf hat Angst oder Das Lied vom Ende» am 4. Dezember will er sechs Boxer ins Stück einarbeiten, als Kollegen von Chansonnier Tim Fischer und der Schauspielerin Steffi Kühnert.
Im Pavillon nebenan wärmt man sich auf. Urberliner, Ukrainer, Kubaner, Türken, sie alle bemühen sich redlich um Ruhe und Konzentration. Die ersten gehen, als sie von den mehrmals wöchentlich angesetzten Proben hören. Der immer noch reichliche Rest steigt unter Schroeters begnadet gnadenlosen Augen in den improvisierten Bühnen-Ring. Je zwei kämpfen, manche lächeln tapfer, während Ike & Tina Turners «River Deep - Mountain High» aus den Boxen dröhnt. Die Konkurrenten hängen derweil dekorativ in den Seilen oder wippen im Takt, scharren die Hufe oder gucken angespannt drein. «Danke, danke!» ruft Schroeter nach ein paar Takten. «Die Nächsten!» Seine groß und irgendwie tänzerisch wirkenden Hände wedeln über seinem Kopf, manchmal rudert er mit beiden Armen, bis der Techniker oben im Theaterrund die Musik zum «Lied vom Ende» endlich ausschaltet.
So geht das gut eine halbe Stunde, und der abgedunkelte Theaterraum scheint das Schnellabfertigungsverfahren mit einer gewissen Würde, vielleicht sogar mit Vorfreude über sich ergehen zu lassen. Eine Saison im Schnelldurchlauf sozusagen, mit Knallern und Schnarcheinlagen, mit Spaß und Schmerz, mit abgesetzten Stücken und vielen nächsten Runden.
Pause. Während die Kampfkandidaten ausdampfen, entschwebt Schroeter schwarzgewandet ins Foyer zur Zigarettenpause. Und, sind ihm die Jungs wütend genug? «Wieso wütend?» fragt er zurück und stimmt eine glühende Ode über den Boxsport an. Von der «Mischung aus Eros und Selbstkontrolle» spricht er da, vom Boxen als dem perfekten Training für die «Begegnung mit dem Anderen».
Wieder rein, zu den Jungs. Jetzt wird grob ausgewählt. Drei Duos werden übrig bleiben, ein Paar spielt, die anderen sind Reserve. Schroeters beobachtungshungrigen Augen entgeht nicht, wem die kleine Vorführung am meisten Spaß macht. Wer seinen Gegner zum tänzerischen Schlagabtausch verführt, der hat Schroeters Herz und Hirn gewonnen. Mit ihm will er zu Georg «Taubenvergiften im Park» Kreislers bitterbösen Humor ein spielerisches Gegengewicht schaffen. Wie soll die Szene denn am Ende aussehen? Schroeter weicht aus, tänzelt: «Das muss sich entwickeln.» Auch die Kandidaten selbst tapsen noch im Dunkeln: «Er will wahrscheinlich sehen, ob wir boxen können», mutmaßt einer.
Wer es konkreter mag, darf sich ab 4. Dezember davon überzeugen, wie sich in Brechts Bude Boxen und Intellekt so machen. «Im Ring», sagte einst Ex-Weltmeister Graciano Rocchigiani, «werden keine Kreuzworträtsel gelöst. Da gibt's was auf die Glocke.» Er meinte damit weder Wagner noch Schiller. Aber auf Kreisler könnte der Satz schon zutreffen.