Vielleicht ist es richtig, den 90. Geburtstag der Deutschen Oper Berlin, vormals Städtische Oper, vormals Deutsches Opernhaus zu feiern, denn möglicherweise wird sie ja in alter Freiheit ihren hundertsten Geburtstag nicht mehr erleben. Aber was soll's? Sie hat in den neun Jahrzehnten ihres Bestehens reichlich glückliche Abende erlebt, aber wiederholt auch aus dem bitteren Kelch schlimmer Erfahrungen schlürfen müssen. Oper in Berlin im vergangenen Jahrhundert war durchaus nicht immer ein melodienseliges Zuckerschlecken.
An Anfang stand Bürgerstolz. Der Affront gegen die kaiserliche Hofoper Unter den Linden. Das damals noch unabhängige Charlottenburg, noch nicht in Groß-Berlin eingemeindet, verlangte ein eigenes Opernhaus, das man alsbald hämisch, die Nase hoch, als «Mittelstandsoper» verschrie. Dabei hatte man sich alle Mühe gegeben, sie künstlerisch herauszuputzen.
Man hatte eintausend Musiker vorspielen lassen, um aus ihnen die Hundertschaft des Orchesters auswählen zu können, die alsbald unter Ignatz Waghalter am 7. November 1912, überraschend selbstsicher, den Eröffnungs-«Fidelio» vortragen konnte. Im Folgejahr schon war am «Deutschen Opernhaus», wie sich das frisch gegründete Institut nannte, repräsentativ Italien zu Gast: Puccini wohnte der Erstaufführung seiner neuesten Oper, «Das Mädchen aus dem goldenen Westen», bei.
Nur leider vermochte sich Charlottenburg nicht als der goldene Westen Berlins zu stabilisieren. Kaum war das Haus auf glücklichen Kurs gegangen, machte der unglückliche Kurs der Politik mit dem Ausbruch des Weltkriegs aller Hoffnung einen kräftigen Strich durch die musikalische Rechnung. Das finanzielle Fiasko rückte heran. Das Deutsche Opernhaus kroch als «Städtische Oper» im Kulturetat Berlins unter.
Künstlerisch aber hatte sie weiterhin allen Grund, den Kopf hoch zu tragen. Allein während der Berliner Festspiele 1929 traten nacheinander Toscanini, Richard Strauss und Wilhelm Furtwängler ans Charlottenburger Pult. Das Diaghilew Ballett tanzte. Musik vom feinsten. Aber auch Kräche mit Sturmwindcharakter.
Der heftigste brach los, als Intendant Heinz Tietjen zusätzlich zur Intendanz der Städtischen Oper die Staatsoper übernahm. Bruno Walter, Generalmusikdirektor in Charlottenburg, sah sich unversehens ins zweite Glied gedrängt und legte protestierend die Arbeit nieder. Vielleicht darf man sich an diese Tatsache erinnern, wenn bei den keimenden Fusionsplänen zwischen beiden Häusern die Herren Barenboim und Thielemann aufeinander prallen.
Für die Städtische Oper keimte neue Hoffnung, als sich 1931 unter Carl Ebert mit Unterstützung von Fritz Busch eine Direktion formte, die geradezu im Handumdrehen Furore zu machen verstand. Verdis «Ein Maskenball», im Herbst 1932 gemeinsam von ihnen produziert, schien ein neues Blatt im Buch des kongenialen inszenatorischen Umgangs mit Musik aufzuschlagen. Fritz Busch erinnert sich: «Die Aufführung wurde zu einem Ereignis, an das sich Menschen in der ganzen Welt in seltener Übereinstimmung noch lange erinnern sollten.»
Was man sich damals erhoffen durfte, ging im Handumdrehen zu Bruch. Es gelangte einzig in der Emigration, im englischen Glyndebourne glorreich zur Blüte. Deutschland, Berlin, sein Deutsches Opernhaus, wie die Nazis das Haus zurück benannten, hatten das Nachsehen, gnadenlose zwölf Jahre lang. So sehr sich die Musiker auch mit einzelnen hinreißenden Aufführungen dagegen stemmten, das Haus fiel aussichtslos auf den zweiten Platz weit hinter der Staatsoper zurück, obwohl sich junge Talente hervortaten.
Elisabeth Schwarzkopf sollte in naher Zukunft eine Weltkarriere erleben, nur musste der verfluchte Krieg erst einmal ein Ende finden. Zuvor aber stand der Untergang dem Haus an der Bismarckstraße bevor. Es fiel den Bomben zum Opfer. Das Ensemble kroch im Admiralspalast unter, in dem nach dem Krieg, wie zum gerechten Ausgleich, auch die gleichfalls zerstörte Staatsoper Unterschlupf fand.
Jetzt wieder als Städtische Oper firmierend, öffnete das Haus, ins Theater des Westens evakuiert, am 4. September 1945 bereits wieder seine Pforten. Abermals mit Beethovens «Fidelio». Ringsum Trümmer, Elend, Todestrauer, aber auch ein unbezähmbarer Überlebenswille, hochkonzentrierte Vergeistigung, Dankbarkeit. Ein Opern-Tusch, der Zukunft entgegen geschmettert.
Carl Ebert kehrte dem Haus zurück, sie Gegenwart werden zu lassen. Gustav Rudolf Sellner folgte ihm nach, als das Ensemble aus der Kantstraßen-Emigration in die Bismarckstrasse heimkehrte: in die neu benannte «Deutsche Oper Berlin». In durch den Mauerbau sich abermals komplizierenden Zeiten legte Gustav Rudolf Sellner, gefolgt von Egon Seefehlner, durch erste, sich weit ausdehnende Gastspiele die Grundlagen zum Welterfolg, den Götz Friedrich alsbald über Jahrzehnte hin zu wahren, zu mehren wusste. Dennoch - selbst nach 90 Jahren im künstlerischen Zentrum der Stadt zeigt sich das Haus neuerdings preisgegeben und fahrlässig destabilisiert: eine Jubiläumsfeier mit Trauerflor.
Deutsche Oper Berlin, Bismarckstr. 35, Charlottenburg. Gala-Aufführung «Tosca». Donnerstag, 19,30 Uhr. Tel.: 3438 401