Berlin-Mitte, das kann man sich als eine einzige Retro-Veranstaltung vorstellen, als einen Freiluft-Erlebnispark der jüngeren Vergangenheit. Hier hat es die Vokuhila-Frisur vom Fußballplatz auf Szene-Köpfe geschafft, und als angesagter Mensch kann man ganz ungeniert in Stonewashed-Jeans umherspazieren. Inzwischen hat der Retro-Trend auch das zweitliebste Stück der Deutschen - nach dem Auto - erwischt: Der gute alte e.V. erfährt in Berliner Cliquen ein Comeback.
Jüngstes Gewächs: «Herr Grabowski - Verein zur Förderung von Kunst und Kultur e.V.» Samstagabend im Vereinsheim in der Veteranenstraße: Heimelig ist es hier für die Endzwanziger, die der Musik vom Hochbett aus Kiefernholz lauschen, es spielt der DJ Heaven 17's «Temptation». Im Regal steht ein «Westermann Mathematikbuch, 5. Klasse», ein Zauberwürfel liegt auf einem Band der «Drei Fragezeichen» und zwischen unzähligen «Clever & Smart»-Heftchen finden sich einige zerlesene «Playboy»-Ausgaben. Devotionalien, aus denen unschuldig Kind- und Jugendzeit der um und nach 1970 Geborenen lächelt.
Eine stilechte Heimkehr für die 25- bis 31-Jährigen Gründungsmitglieder von «Herr Grabowski», benannt nach dem Maulwurf aus einem Kinderbuch von Luis Murschetz. Heimkehr in eine Umgebung, wo Mitglieder und Gäste sich vor einem halben Menschenalter mit Pickeln, Hausaufgaben und Pferdeträumen rumschlugen. Dabei war ihre Vereinszeit spätestens mit dem 15. Lebensjahr vorbei, das galt als uncool und roch zu sehr nach Eltern. Und doch kehren sie zurück zu den Organisationsformen, die ihre jugendliche Nachmittagsplanung prägte.
Der Verein, dieser so urdeutsche freiwillige Zusammenschluss, eine Säule der Demokratie, die daher im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) geregelt ist, bietet den modernen Individuen, die so lange den Hedonismus pflegten, die so schmerzlich vermisste Heimstätte, die Geborgenheit einer zweckdefinierten Großfamilie. Da ist man Mensch unter Menschen, da kann sich jeder bewähren abseits der verfestigten sozialen Ordnung und vorgegebener Hierarchien am Arbeitsplatz. Hier gibt es die Goldene Ehrennadel für jahrzehntelange Vereinstreue, bei der Hochzeit stehen die Kameraden Spalier. Und wenn man einst zu Grabe getragen wird, sorgt der Verein für eine «schöne Leich» mit Fahne, Trauermusik und Grabrede. Im Verein «bin ich ich - und Mann und Bundesbruder in vollen Reihen», amüsierte sich schon Kurt Tucholsky.
Aber in der Veteranenstraße ist man jung und vom Tod und anderen Befindlichkeiten weit entfernt. Heimstätte soll «Herr Grabowski» schon sein, nur nennt es Wenzel Schöning, 27 Jahre, und einer der sieben Vereinsgründer, einen «Raum zur Selbstverwirklichung». Verwirklichen sollen sich hier junge Künstler, denen der e.V. einen Ort zum Ausstellen bieten will. Dass die Mitglieder dabei eine Menge Bürokratie auf sich nehmen, wie einen Vorstand wählen, die Gründungsversammlung und Satzung schreiben und so fort, erstaunt. Spießig hin oder her: Wer Kunst fördern will, dem bietet der Verein als Organisationsform steuerliche Vorteile, erst durch ihn kommt man an Fördertöpfe.
Andere Berliner Szenecliquen wie das Spreeufer-Restaurant «Freischwimmer» in Treptow, das einst auch ein e.V. war, haben es vorgemacht: Hier war der Verein die Möglichkeit zu testen, ob die eigene Geschäftsidee etwas taugt, bevor man sich an eine teure Gastrolizenz wagt. Oder die Vereinsstruktur funktioniert als Mittler: Bei «c-base», einem Club von Linux-Fans, können die inzwischen rund 170 Mitglieder nur noch durch Vorstand, Kassenwart und Mitgliedsversammlung eingebunden werden. Für andere, wie die «Automatenbar» in Mitte, ist die Mitgliedschaft der virtuelle Türsteher: Rein kommt in die kleine Bar, in der Automaten die Bedienung ersetzen, nur, wer eingetragen ist.
Das Vereinskleid aus dem BGB von 1900 hat sich vom Spießertreff zum Szenedarling gemausert. Da ist es dann egal, ob man Kunst fördert, Hunde abrichtet oder Tore schießt.