Zensur von oben, Selbstzensur, Armut, schlechte Ausbildungsqualität, primitive technische Standards: in Tunesien Theater zu machen - Kunst überhaupt - , stößt schnell an Grenzen. Dabei gibt es ein tunesisches Staatstheater, eine unabhängige Szene, wobei nur ganz wenige Truppen wirklich gut sind, sich nicht in Folkloristischem genügen. Zu diesen ganz wenigen gehört das Ensemble von Fadhel Jaibi, der - Jahrgang 1945 - nach seinem Studium der Theaterwissenschaften in Paris vor drei Jahrzehnten in Gafsa die erste freie tunesische Truppe gründete: «Mein Theater will unser Land aus seiner Unterentwicklung helfen und Teil des Welttheaters sein», sagt Jaibi. «Der Westen sieht uns gern archaisch. Für meinesgleichen bedeutet Modernität Weltbürgertum.»
Jaibi weiß natürlich um die Spannungen zwischen Tradition um Moderne, um die Schwierigkeiten, in einer Gesellschaft Theater zu machen, die Moral, Politik und Religiösität kritisch betrachtet wissen will und zugleich - «ziemlich schizophren» - sich empört über diese Kritik. «Der Tunesier», so Jaibi, «leidet daran, lange Zeit nicht von sich geträumt zu haben, leidet an einem Mangel an Reflexion.»
Seit Jahren arbeitet Jaibi mit seiner Ehefrau, der Schauspielerin Jalila Baccar, zusammen. Gemeinsam erarbeiten sie die Texte ihrer Stücke, die während eines langen Probenprozesses entstehen. «Ich habe nie gelernt, Texte in der Einsamkeit meines Zimmers zu schreiben.» Zuerst war also eine Idee, ein Thema - Hass, Liebe, Tod, verlorene Identität, kleinbürgerlicher Konformismus. Dann kommen die Spieler mit ihren verschiedenen Biografien und langsam wächst ein Stück. «Wir haben uns viele Jahre nur am westlichen Experimentaltheater - Living Theatre, Brecht, Mnoukines Theatre du Soleil - orientiert, das so großen Wert auf Gruppenarbeit legte; haben uns gewaltsam gleich gemacht. Derartigen Radikalismus haben wir hinter uns und fanden die Balance zwischen Individuellem und Kollektivem.» Ein Vierteljahr lebt Jaibi mit seiner seiner Truppe (Türken, Araber, Deutsche) in der Hauptstadt. Auf Einladung der Festspiele, die vom hier noch Unbekannten eine Werkschau - «Personale» genannt - präsentiert. Gemeinsam entwickelte man ein neues Stück in deutscher Sprache; Titel: «Araberlin». Thema: das Misstrauen zwischen Okzident und Orient.
Neben dieser Uraufführung (heute um 20 Uhr im Spannwerk Paul-Lincke-Ufer in dt. Sprache) kommt es in Berlin zu drei Gastspielen (mit dt. Übersetzung): «Familia» (Hebbel Theater), der Monolog «A la recherche d'Aida» (Haus der Festspiele); «Janun» (Haus der Festspiele). Das Kino Arsenal zeigt drei Jaibi-Filme: «La Noce» (1978), «Arab» (1988) und «Chich Khan» (1990).
Berliner Festwochen, Tel.: 25 48 91 00