Dirigent Daniel Barenboim pafft an seiner Havanna und schwärmt von seinem «dritten» Orchester. Neben der Berliner Staatskapelle und dem Chicago Symphony Orchestra ist dies nun im vierten Jahr die israelisch-arabisch-palästinensische Jugendformation «West-Östlicher Divan»
Ist dieses Jugendorchester eine schöne Utopie oder kann die hier gelebte Harmonie Realität werden?
Daniel Barenboim: Es gibt keine militärische Lösung für den Konflikt zwischen den Israelis und den Palästinensern. Weil die starke Armee nicht in der Lage ist, gegen einen Feind von innen zu gewinnen. Es gibt leider auch keine moralische Lösung. Vielleicht gibt es aber doch mal einen Friedensvertrag. Deshalb müssen wir jetzt versuchen, uns im Kleinen anzunähern. Der Hass muss abgebaut werden, es muss alltäglichen Umgang zwischen den Völkern geben. Ich wollte nicht warten, bis die Politiker so weit sind. Deshalb haben Edward Said und ich dieses Orchester gegründet.
Ist so eine Tat nicht automatisch politisch?
Wie haben uns nie politisch geäußert. Die Leute, die hier teilnehmen, müssen musikalisch sein und diesen Willen zum Miteinander haben. Politisch werde ich nur, wenn ich sage, dass ich es schlecht finde, dass es in dieser Region immer noch Regierungen gibt, die es den Studenten schwer machen, an dem Workshop teilzunehmen. Viele Konflikte entstehen aus Ignoranz. Die wollen wir abbauen. Deswegen wäre es doch auch für die Araber gut, wenn sie hier ihren Standpunkt mit den Israelis diskutieren, ohne auf ihre Position verzichten zu müssen. Alle können sehen: optisch und mental gibt es keine Unterschiede zwischen uns: Wir sind ein semitisches Orchester, die Religion kann man nicht in den Gesichtern lesen.
Als der Workshop erstmals stattfand, war die zweite Intifada-Welle noch nicht aufgeflammt. Ist es heute nicht viel schwieriger, das Orchester zu organisieren?
Das war es immer schon. Jetzt haben aber viele Israelis Schwierigkeiten, mit den Arabern zusammenzuspielen - und umgekehrt. Das ist eine sehr gefühlsmäßige Angelegenheit, über die wir viel sprechen. Eine Wunde heilt automatisch durch die Natur, wir Menschen sind aber in der Lage; bewusst eine Tür zu öffnen oder zu schließen. Manche der Musiker haben viele Ressentiments hier beiseite gelassen. Es berührt mich, wenn man trotz eines Selbstmord-Attentats in Israel hier die jungen Leute gemeinsam beim Baden, Tischtennisspielen oder Proben erlebt. Es könnte so einfach sein. Wir haben drei Oboen, zwei Araber und eine Israelin, die teilen sich ihr Programm mit einer Selbstverständlichkeit, die rührend ist. Alltag und große politische Welt treffen sich hier in faszinierender Weise. Keiner geht unbeeindruckt aus diesem Workshop. Er verändert uns alle.
Zweifelt man aber nicht, wenn man bemerkt, dass draußen der Fanatismus auf beiden Seiten immer stärker wird?
Er zwingt einen eher dazu, erst recht weiter zu machen. Ganz besonders jetzt auch bei unserem Aufenthalt in Andalusien. Das ist mit seiner Vergangenheit mit allen diesen Völkern verknüpft. Hier haben die Juden, Muslime und Christen zum einzigen Mal in der Geschichte in Frieden zusammengelebt.
Wie profitieren die arabischen Musiker von diesem Workshop?
Viele von ihnen haben - wie auch die Israelis - hier Kontakte knüpfen können, haben im Ausland studiert, Stipendien in Deutschland oder Amerika erhalten oder haben sogar Orchesterstellen gefunden. Das wäre ohne den Workshop unmöglich gewesen.
Sie sind jetzt erstmals mit dem Orchester auf Tournee?
Es war nie das Wichtigste. An erster Stelle stand für mich die Notwendigkeit, die verschiedenen Völker des Nahost-Konflikts friedlich und mit einer Sprache, nämlich der der Musik, an die Pulte zu bekommen. Dann war es wichtig, den Mitwirkenden eine musikalische Basis zu vermitteln, die sie weiterentwickeln können. Selbstverständlich wollen sie alle auftreten.
Staatsoper Unter den Linden, Mitte. Sonntag 11 Uhr. Tel.: 203 54 555