Freund Ivar meldet sich zurück. Jahrzehntelang hatte dieser Urtyp aller Ikea-Regale seine Kiefernbretter in die Vorratskeller von längst beamteten Ex-Studenten quetschen und sich im Katalog des modernisierten Möbelhauses mit der Abstellkammer begnügen müssen. Doch im neuesten Prospekt prangt Ivar schon auf dem Doppelaltar der Seiten 14 und 15, als sei er der Hit der Saison. Zwar enthält Ivar jetzt nicht mehr Pink-Floyd-Platten wie damals, sondern dient Sweat-Shirts als Kleiderschrank - doch was steht neben Ivar? Ein Hochbett! Wie einst in der WG! Darunter lümmelt sich ein Sofa, und im knapp bemessenen Vordergrund kündet ein Tisch mit zwei Marmeladengläsern vom ersten gemeinsamen Frühstück. Wer nun das Bettzeug wechseln muss, greift zur Leiter und klettert bis unter die Decke, wo Wäschekästen hängen.
Was ist das für eine Bude? Warum wird sie so angepriesen? Sind denn die Studenten ein Zukunftsmarkt, der für einen Möbelriesen wie Ikea ausreicht? Oder plant man schon für die Heerscharen der unbeschäftigten Alten, die demnächst die Universität des dritten Lebensalters besuchen?
Nein, es ist anders. Ikea beschränkt sich nicht auf Erstsemester, sondern präsentiert dem ganzen Volk im neuen Katalog, der dieser Tage die Briefkästen füllt, «das neue räumliche Denken». Man zeigt, «wie aus 35 m?2; 116 m?3; werden», und lässt uns wählen: «Familienleben auf 55 m?2; oder in 138 m?3;». Indem wir den Quadratmeter durch den Kubikmeter ersetzen, soll es uns gelingen, auf engstem Raum möglichst viel unterzubringen.
Und so schlägt sie denn, die Stunde der Bettsofas mit integriertem Wäschekasten, des Wohnzimmers mit Küchenzeile, der Spielecke neben dem Computer. Vor allem geht es hoch hinaus: Wo früher Spinnen webten, soll nun die Goethe-Ausgabe ihre Nichtbenutzung verwinden, sollen Kinder schlafen, Weine lagern. Und da heutzutage im Küchenwinkel weder Schinken noch Gekreuzigte hängen, ist dort Platz für überzählige Klappstühle sowie: Kisten, Kästen, Regalbretter. Computergenau soll jeder Kubikmillimeter ausgenutzt werden. Und das heißt: aufräumen: Soll in derart vollen Räumen nicht totales Chaos herrschen, muss man alles sofort nach Benutzung wieder verstauen oder aufhängen.
Aber was will Ikea mit diesem Konzept erreichen? Langweiler werden sagen, dass den Möbelschreinern in Zeiten fehlender Trends nichts Besseres eingefallen ist. Und in der Tat: Neue Produkte gibt es kaum im Katalog, die Designs sind die alten, Bedarf an neuen Stilen scheint man nicht ausgemacht zu haben. Was liegt da näher, als sich aufs Kerngeschäft zu besinnen und unterm Slogan «räumliches Denken» dasjenige als Sensation anzupreisen, was man schon immer gemacht und palettenweise am Lager hat: Schränke und Regale, die man endlos in die Höhe verlängern kann.
Es kann aber auch sein, dass man sich bei Ikea viel grundsätzlichere Gedanken gemacht und auf die unerfreuliche sozioökonomische Lage eingestellt hat - der aktuelle Katalog als Manifest der Rezession: Wir müssen sparen, die größere Wohnung ist gestrichen. Und all das Wohlstandsgerümpel, das wir in den goldenen Jahren von Boom und Angestelltenglück angehäuft haben und nun um so lieber gewinnen - das können wir halt nicht auf die geplanten 5 Zimmer verteilen, sondern müssen es auf 63 Quadratmetern unterbringen, damit uns die Designerschalen und Malediven-Fotos wenigstens dann noch trösten, wenn wir uns auf die oberste Stufe der Leiter gewagt haben. Es wird eng, kein Zweifel, es ist traurig. Dazu passt, dass all die intelligent ausgenutzten Räume von den Fotografen in dunkles, melancholisches Licht getaucht wurden.
Aber eines verstehen wir nicht: Bei einer Wirtschaftskrise gehen die Immobilienpreise doch in den Keller, während horrende Mieten ein Boom-Phänomen sind. Dürfen wir uns da nicht eher auf größere Wohnungen freuen? Warten wir's ab. Einen Vorbehalt macht auch Ikea: «Preise gültig bis August 2003.»
Viel Holz