Kein Verein hat sich um die Kunst der Hauptstadt so verdient gemacht, wie die Freunde der Nationalgalerie. Kein Wunder, dass sich die kulturbeflissenen Mäzene die Kasseler Weltkunstschau nicht entgehen lassen wollen. Wir haben sie begleitet.
Links, wo das Herz ist, da fängt es an, ganz laut zu pochen. Und dann kann sich auch die Zunge nicht mehr erwehren: L'art pour l'art ist am Ende! Verkündet sie. Die Kunst hat die Politik wieder entdeckt! Und als sie der Documenta 11 das Prädikat «links» erteilt, würde sie am liebsten schnalzen. Aber da kommt schon Protest vom Nebenmann. Was heißt hier links . . .?
20 Berliner Freunde haben sich aufgemacht, die Kasseler Weltkunstschau zu erkunden. 20 Mitglieder des Vereins der Freunde der Nationalgalerie, der seit 25 Jahren die Staatlichen Museen mehr als großzügig unterstützt. Rechtsanwälte und Architekten, Zahnärzte und Psychologen - Frauen und Männer mit Geld, das für sie Verpflichtung ist. Unter dem Vorsitz des charismatischen Gründers Peter Raue haben sie der tristen Mauermetopole nicht nur mit dem Erwerb von wunderbaren Werken - insgesamt 91 - wie keine andere private Vereinigung zu einem Ruf als Kunststadt verholfen, sondern und vor allem auch mit Geist: Berlin, vor der NS-Zeit Zentrum des Mäzenatentums, präsentiert sich erst wieder seit dem Beginn ihres Wirkens als Ort eines der Gemeinschaft verpflichteten Bildunsgbürgertums. Rückwärtsgewandt sind die Freunde dennoch nicht. Ihr Preis für junge Kunst, mit 50 000 Euro eine der höchstdotiertesten Auszeichnungen für Gegenwartskunst, ist dafür nur ein Indiz.
Den Freunden ist es ernst mit dem Zeitgenössischen. Und deshalb diskutieren sie auf der Documenta, was das Zeug hält. Bernd und Hilla Bechers Fotoserie «Fachwerkhäuser des Siegener Industriegebietes» kommt da als «Schnee von gestern». Ganz anders ist es mit den Zeichnungen, auf denen Andreas Siekmann unter dem Titel «Gesellschaft mit beschränkter Haftung» eine Bluejeans in die Fallen der kapitalistischen Gesellschaft stürzen lässt. «Agitprop», entfährt es einem prominenten Berliner Alt-68er, und über das verschmitzte Gesicht geht ein seliges Lächeln.
Ja, das Politische, das Engagierte dieser Documenta, das macht Spaß. Vor allem, wenn es so fantasievoll daher kommt wie in den futuristischen Stadtmodellen von Bodys Isek Kingelez, der afrikanische Einflüsse mit Phänomenen der westlichen Welt zu skurrilen Symbiosen vereint. Guck mal! So vieles gibt es zu entdecken, und diese geradezu kindliche Unbefangenheit, mit der sich die Berliner Besucher den Schöpfungen des Künstlers aus dem Kongo nähern, verrät, was Kunstverstand ausmacht. Nichts Borniertes, nichts Blasiertes, aber viel, viel Neugier. Bisweilen wird sie nicht befriedigt. Und dann entlädt sich der Unmut auch mal in einem «Ich freu mich, wenn ich hier raus bin.» Aber eigentlich ist das nur einmal zu hören, weil jemandem Constants Stadt-Utopie «New Babylon» einfach zu unrealistisch ist. Unter Freunden kann man so was auch mal sagen. Und auch, dass einem dieses Lexikalische missfällt, diese minutiöse Fleißarbeit eines Ecke Bonk, der die 350 000 Einträge des Grimmschen Wörterbuches an die Wand projiziert. «Ich mag nun mal keine Sprücheklopper», sagt jemand, ein bisschen gereizt. Vielleicht auch, weil es so stickig ist im Fridericianum, weil man schon ein bisschen müde ist, und einfach Lust hat, motzig zu sein. Da kommt einem Shirin Neshats Video, in dem sie den Mythos des Gartens mit Elementen des Islams vereint, gerade recht: «Betgeschichten.» Punkt.Doch dann geht die Sonne auf. Frédéric Bruly Bouabrés Bilderserien, die auf kleinen einfachen Zeichnungen die Welt erklären: Was Frauen schön macht, und was eine Machete und eine Fischgräte verbindet. Da wird der ärgste Kritiker weich, kann den verzückten Blick nicht lassen von den unzähligen Bildchen. Da ist sie wieder, diese wunderbare Bereitschaft, sich einfach einzulassen: Von links und rechts ist jetzt keine Rede mehr. Aber von «Seele», und «Ganzheitlichkeit». Und plötzlich schlägt das Herz überall.
Jan Rave (Hrsg.): Verein der Freunde der Nationalgalerie Berlin. Zum 25. Jubiläum, E. A. Seemann Verlag, Leipzig, 339 S., 29,90 Euro