Bloß nicht abergläubisch werden! Wenn die neue Spielzeit so platt werden sollte, wie sie hier begonnen hat, dann: Buona notte! Claus Peymanns Uraufführungs-Inszenierung von «Da Ponte in Santa Fe» zog schon auf Bleifüßen ins Theater am Schiffbauerdamm. Die Koproduktion mit den Salzburger Festspielen ist bereits dortselbst gründlich durchgefallen. Der schlechte Ruf eilte ihr voraus wie Mundgeruch - und genau diesen sagt Peymanns Spezi Peter Turrini in seinem jüngsten Stück den Salzburgern nach.
Solche Bemerkungen mögen dort provozieren. Beim Berliner Ensemble kommt nicht mal die rechte Schadenfreude auf, wenn es heißt: «Denk ich mir, Antisemit und Katholik bin ich schon, werd ich Österreicher». Und der Regisseur hatte im eigenen Hause am Ende keine Lust mehr, den Buhern eine Nase zu drehen oder die Zunge herauszustrecken. Er lächelte standhaft.
Lorenzo da Ponte, der Librettist der Mozart-Opern «Hochzeit des Figaro», «Così fan tutte» und «Don Giovanni» sowie ehemaliger Hofdichter Leopolds II., ist 1838 in New York gestorben. Peter Turrini schickt ihn jetzt glatt in den Wilden Westen. Dort, in Santa Fe, fristet der heruntergekommene greise Mann ein schlimmes Senioren-Dasein. In der Vorhölle eines ehemaligen Saloons, den ein skrupelloser Produzent zum Opernhaus umgemodelt hat, schenkt da Ponte aus. Drinnen gibt man den «Giovanni». Aber sein Name fehlt auf dem Plakat. Kein Schwein kennt ihn. Keiner will seine Geschichte hören. Nicht mal in den Zuschauerraum lässt man ihn hinein.
Zum personellen Zubehör des Stücks gehören ein jiddelnd antisemitischer Mozart-Doppelgänger, mafiöse Typen, ein auf Neger geschminkter Alkoholiker, Huren, Tanzmädchen und ein Bürgermeister, der sich zur Kultur bekennt, dessen Kunst-Horizont aber bei Darbietungen von Kunstfurzern endet. Da Ponte wird nicht müde, seine eigene Vergangenheit anzupreisen. Einem Saaldiener macht er weis, der Mann habe eine begnadete Sangesstimme. Eine vierzehnjährige, schlimm entehrte Waise (hübsch naiv: Annika Kuhl) nimmt er unter seine nicht nur künstlerischen Fittiche. Für besondere Gelegenheiten hat der Librettist einen aufwändigen Phallus-Dildo-Apparillo konstruiert. Das Ding erweist sich nicht nur als mechanischer, sondern obendrein als dramaturgischer Reinfall. Ein bisschen mehr Potenz könnte Turrinis Lustspiel auch nicht gerade schaden. Selbst die allseits erwarteten Schweinigeleien halten nicht, was versprochen wurde.
Theatralische Backstage-Krachschoten sind ungemein beliebt. Eine der verrücktesten ist zweifellos die von Sartre aufgemöbelte Dumas-Komödie «Kean oder Unordnung und Genie». Von deren Witz kann Turrinis rasch heruntergeschriebenes Werk nur träumen. Wir lernen: Allzu innige Treue und jahrelange Freundschaft garantieren am Theater keinen Erfolg. Auch als Intendant muss man seinen Lieblings-Autoren mal sagen können: Nein danke. Claus Peymann inszeniert die Geschichte dann auch gar zu werkgetreu. Nicht, dass viel zu verbessern wäre. Aber etwas Straffung, etwas parodistischer, satirischer, böser Aberwitz, auch ironische Distanz hätte - wenn nicht ein Wunder - so doch immerhin ein Wünderchen wirken können.
Wenn in dem von Rolf Glittenberg mit steriler Opulenz ausgestatteten Saloon etwas die Besichtigung wert ist, so gewiss Jörg Gudzuhn als Lorenzo da Ponte. Der Schauspieler ist zu schade für diese Rolle! Aber er verkörpert den alten Mann mit Würde. Er spielt immer König Lear und Striese gleichzeitig. Seine Angst, vergessen zu werden. Die Altersgeilheit. Wäre nicht alles so furchtbar traurig, könnte man von Tragik sprechen. An Gemeinheit grenzt es, eine so wunderbare Schauspielerin wie Elisabeth Schwarz für die ganz und gar unergiebige Rolle der Frau Ponte Talent und Zeit vergeuden zu lassen. Ein Regie-Einfall dagegen ist die Besetzung des öligen Operndirektors mit Heribert Sasse.
Dass niemand einschläft, dafür sorgen schon die Colts auf der Bühne. Das Gewitter, draußen an der Spree, wirkt erfrischender.
Berliner Ensemble. Bertolt-Brecht-Platz 1. Karten Tel.: 284 08 155. Nächste Vorstellungen: 31.8. 19 Uhr, 3.9. 20 Uhr.