Heinrichs erste    Sorge war das Vergessenwerden

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Cosima Lutz

Das war knapp. Vor dem jüngsten Gericht blamierte sich Kaiser Heinrich II. (973-1024) nämlich gewaltig, denn Erzengel Michaels Waagschale neigte sich bedenklich weit in Richtung «böse Taten». Schon versuchte der Teufel mit widerlich verzerrtem Grinsen, sich des Herrschers Seele zu krallen - da warf flugs der heilige Laurentius einen goldenen Kelch in die Waagschale. Heinrichs Weg ins Reich der Seligen war frei.

So will es die Legende, so hat sie Tilman Riemenschneider fast ein halbes Jahrtausend nach Heinrichs Tod auf dem Sarkophag des heiligen Herrscherpaares Heinrich II. und Kunigunde im Bamberger Dom festgehalten. Kleine und größere Tricks gehörten eben dazu bei diesem einzigen je heilig gesprochenen deutschen Herrscherpaar - wie im Himmel, so auf Erden.

1000 Jahre nach Heinrichs Krönung zum König versammelt nun das Haus der Bayerischen Geschichte mehr als 200 wertvolle Objekte, darunter Leihgaben aus dem In- und Ausland - im Versicherungswert von 40 Millionen Euro - , an historischer Stätte: in Bamberg, Heinrichs «einzig geliebter Stadt», im von ihm gestifteten Bistum. Herrschaftlicher und geistiger Sitz sollte es ihm sein in seinem ostfränkischen Reich, als dessen König er, der letzte Ottone, es einte und von wo aus er seine Blitzkarriere zum Römischen Kaiser vollendete.

Schon das Plakat fordert den heutigen Betrachter dezent zur ambivalenten Deutung dieses Kaisers auf: In der einen Hand trägt Heinrich das Schwert, in der anderen den Bischofsstab. Er war es, der im Jahr 1002 als Sohn des bayerischen Herzogs Heinrich der Zänkers den Tod des kinderlosen Kaisers Ottos III. in Italien als Chance für sich nutzte und als Großneffe Ottos des Großen den Rang als des Kaisers würdiger Nachfolger beanspruchte. Für seinen Zweck heiligte er dabei unkonventionelle Mittel. Um in den Besitz der Reichsinsignien zu gelangen, nahm er den Erzbischof Heribert von Köln in Geiselhaft. Und damit bei seiner Krönung zum König am 6. Juni 1002 ja nichts schief gehen konnte, ließ er sich die Krone von seinem Verbündeten, dem Erzbischof von Mainz, aufsetzen. Auf einem Huldigungsritt holte er sich dann die Bestätigung bei den Großen des Reiches ab - was nicht immer nur Formsache war. 1014, flankiert von Aufständen, die mit geistlicher Hilfe niedergeschlagen wurden, erlangte er schließlich die Römische Kaiserwürde.

Heinrichs Antrieb, der Kirche mit all seiner Macht zu dienen, schöpft sich zu einem großen Teil aus der mittelalterlichen Angst, vergessen zu werden. Für die eigene Memoria war es ihm denn auch recht, selbst mit unchristlichen Methoden seine Macht und die des Papstes zu mehren: Als Papst Benedikt VIII. Unterstützung gegen die Byzantiner in Unteritalien suchte, fand er sie 1020 in Bamberg. Andererseits suchte der König in seiner zehn Jahre währenden Fehde mit dem christlichen Polenkönig Boleslav das Bündnis mit den heidnischen Liutizen und Redariern.

Die Ausstellung verschweigt keineswegs die Schwierigkeiten, die es bereitet, den vielschichtigen Motiven dieses Herrschers durch 1000 Jahre heikler Überlieferungsgeschichte hindurch nachzuspüren. Viel «Geschichte zum Anfassen» erwartet den Besucher deshalb. Die wenigen wirklich greifbaren Details der Lebensbedingungen von Volk und Herrscher sind hier sinnlich nachvollziehbar: wie der «Reiterkönig» sein Reich vom Sattel aus regierte, sich mit einem «Heuschreckenschwarm» von Gefolgschaft regelrecht auf PR-Tour begab, um sich auch so vor dem Vergessenwerden zu schützen.

Zum Eintauchen in einen wahren Taumel der Opulenz verführen die Prachtstücke der bayerischen Buchkunst, der Heinrich zu einer Blütezeit verhalf. In der abgedunkelten Bamberger Staatsbibliothek geheimnisvoll illuminiert, erstrahlen sie hier, von Kunigundes Gebetsbuch bis hin zu Handschriften mit filigran geschnitzten Elfenbeindeckeln.

Welcher Art das Licht im auch hier als «dunkel» inszenierten Mittelalter war, suggerieren auch die spärlich beleuchteten Räume der Alten Hofhaltung. Im einstigen Wirtschaftshof des Bamberger Bischofs wölbt sich über dem Besucher der Kosmos jener Zeit: mit Alpha und Omega, Sonne, Mond und - Heinrich.

Bamberg, Dom, Staatsbibliothek und Diözesanmuseum. Bis 20. Oktober. Tel.: 0951 / 50 90 448. Katalog 16 Euro.